Frau bei Bewerbungsgespräch hält Mann die Hand zum Händeschütteln hin

Unternehmen erklären oft, dass es der Teamstruktur guttun würde, wenn die Vakanz mit einer weiblichen Führungspersönlichkeit besetzt werden würde, erklärt Tim Oldiges im Interview. (Bild: H_Ko - stock.adobe.com)

Herr Oldiges, welche Dinge muss ein Unternehmen denn inzwischen auf alle Fälle in petto haben, um im Kampf um die Top-Führungskräfte mithalten zu können?

Tim Oldiges: Unternehmen müssen Recruiting neu denken. Der größte Einfluss für ein erfolgreiches Recruiting ist die Zukunft der Mitarbeitenden. Bewerber und Bewerberinnen suchen nach individuellen Lösungen und einem individuellen Karriereplan.

In 80 Prozent der Jobinterviews spielt auch Flexibilität eine entscheidende Schlüsselrolle. Durch Corona haben die Beschäftigten erlebt, welche Vorteile das Homeoffice mit sich bringt und Gefallen daran gefunden. Das neue „Normal“ wollen nur wenige wieder aufgeben. Daher habe ich nur wenig Verständnis, wenn sich ein Familienunternehmen dazu entschließt, nur einmal in der Woche Homeoffice anzubieten und damit keinen entscheidenden Veränderungsprozess einzuschlagen.

Selbstverständlich bildet das Gehalt einen wesentlichen Bestandteil. Dennoch geht es immer mehr darum, dass Unternehmen das große Ganze aufzeigen, also welche Möglichkeiten ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin hat.

Das ist Tim Oldiges

Tim Oldiges
(Bild: Oldiges)

Tim Oldiges ist Geschäftsführer der Personalberatung Headgate, die Manager für Industrie-Unternehmen vermittelt. Davor war er Berater und Business Development Manager. Oldiges studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TH Karlsruhe.

Im Maschinenbau gibt es vor allem Mittelständler und Familienunternehmen. Können solche Firmen, die manchmal eher auf der Schwäbischen Alb als in Berlin sitzen, genau durch solche Angebote attraktiver werden?

Oldiges: Veränderung ist Chance und Risiko zugleich. Wenn man sich als Unternehmen ein hybrides Arbeitsmodell vorstellen kann, dann erhält man plötzlich Zugang zu ganz neuen Mitarbeiterressourcen, an die man vorher gar nicht rangekommen wäre. Wenn ich beispielsweise meinen Unternehmenssitz auf der Schwäbischen Alb habe, kann ich mittels hybrider Arbeitsstrukturen auch top ausgebildete Menschen aus Stuttgart, München oder Nürnberg für mich gewinnen.

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mittel- bis langfristig zu halten, ist eine große Herausforderung geworden. In den USA ist die Kündigungswelle aufgrund nicht vorhandenen Homeoffice-Möglichkeiten bereits sehr groß. Menschen wechseln relativ schnell ihren Job, um eine für sich optimale Arbeitssituation zu finden. In Deutschland findet das noch nicht in diesem Maße statt. Dennoch sind immer mehr Menschen bereit, ihren aktuellen Arbeitgeber zu verlassen, wenn dieser ihnen nicht eine hybride Arbeitsstruktur ermöglicht. Und die Gefahr besteht auch weiterhin.

Und dann ist die Industrie ja auch selbst im Wandel. Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit werden immer wichtiger. Wie schwierig ist es, die passenden Führungskräfte für diese Themen zu finden?

Oldiges: Das ist genau die Herausforderung: Im Produktionsumfeld sind die Themen Digitalisierung und Automatisierung sehr wichtig geworden. Allerdings wurden viele Führungskräfte in einem anderen Umfeld sozialisiert und es fällt ihnen daher schwer, alte Denk- und Arbeitsstrukturen loszulassen und Veränderungen zuzulassen. Den jüngeren Führungskräften fehlt es dagegen an der notwendigen Erfahrung. Daher suchen wir für unsere Kunden nach Möglichkeiten, gemischte Teams zusammenzustellen oder auch in angrenzenden Umfeldern nach neuen Kandidaten zu suchen.

Welche Rolle spielt die Corona-Pandemie bei Ihrer Recruiting-Arbeit? Hat sie sich dadurch verändert?

Oldiges: Typischerweise erreichen wir die Menschen an ihrem Arbeitsplatz. Durch die Corona-Pandemie waren alle plötzlich im Homeoffice, besser erreichbar und hatten mehr Zeit für offene Gespräche. Im Moment sind wir eher in der Phase, dass viele Leute bereits den Job gewechselt haben, weshalb aktuell wieder etwas mehr Stabilität am Arbeitsmarkt herrscht und es für die Unternehmen teilweise unheimlich schwer ist, passende und wechselwillige Leute zu finden.

Es gibt also viele Stellen, aber wenig Bewerber?

Oldiges: Ja, genau. Der Arbeitsmarkt ist so heiß wie noch nie und gute Führungskräfte sehr begehrt.

Mit dem neuen Führungspositionen-Gesetz sind Unternehmen jetzt verstärkt auf der Suche nach weiblichen Führungskräften. Merken Sie das auch?

Oldiges: Wir sind alle ganz begeistert von weiblichen Führungskräften. Wir würden gerne viele Positionen mit Frauen besetzen, sehen aber auch, dass Frauen oft nicht so karrierefokussiert sind, wie ihre männlichen Kollegen. Zudem fahren Frauen weniger die Ellbogen aus, wenn es um Karriereentscheidungen geht und wollen eher einen Job, der sie erfüllt. Dennoch werden weibliche Führungskräfte von den Unternehmen zunehmend angefragt.

Unternehmen fragen demnach explizit nach weiblichen Bewerbern?

Oldiges: Der Wunsch ist da, aber es wird nicht klar ausgesprochen: Unternehmen äußern sich eher dahingehend, dass es der Teamstruktur guttun würde, wenn die Vakanz mit einer weiblichen Führungspersönlichkeit besetzt werden würde.

Wenn ein Unternehmen weiß, da wird eine Stelle frei, wie viel im Voraus muss man inzwischen nach geeigneten Führungskräften suchen?

Oldiges: Das hängt von der Hierarchieebene ab. Auf der Top-Ebene gibt es beispielsweise längere Kündigungsfristen, die eine kurzfristige Einstellung erschweren. Wir selbst geben als Richtwert drei Monate für die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin an. Unser Anspruch ist aber schneller zu sein. Es gibt aber auch Jobs, da kann die Suche nach dem/der geeigneten Kandidaten beziehungsweise Kandidatin auch mal ein Jahr dauern, weil der Markt so eng ist.

Am Anfang steht immer die Wunschliste, anschließend folgt die Streichliste. Man muss schauen, bei welchen Punkten es eine Kompromissbereitschaft gibt. Dieser Prozess kann manchmal schnell gehen, ein anderes Mal dauert dieser deutlich länger. Wir haben unsere internen Prozesse massiv optimiert, um für unsere Kunden so schnell wie möglich zu sein und konnten die durchschnittliche Projektlaufzeit beinahe halbieren. Am Ende ist die qualitative Besetzung jedoch immer wichtiger als ein schneller Prozess.

Haben Sie Tipps: Was können Unternehmen denn anbieten, damit sie sich abheben und die Bewerber sich für sie entscheiden?

Oldiges: Das muss man immer nach der Motivation der Kandidatinnen und Kandidaten entscheiden. Es gibt zum Beispiel sehr viele Bewerber:innen, die ein großes Interesse an Weiterentwicklung haben. Da ist dann persönliches Wachstum das Stichwort. Man kann als Unternehmen beispielsweise eine umfassende Führungskräfteschulung anbieten und Perspektiven zur Weiterentwicklung aufzeigen, um die Bewerberinnen und Bewerber zu beeindrucken. In diesem Zusammenhang ist für viele Kandidat:innen das Thema neue Sprachen erlernen oder festigen von großer Bedeutung. Als Firma könnte man dann Sprachkurse finanziell unterstützen.

Für viele spielt auch der Freiheitsgrad innerhalb der Position eine entscheidende Rolle. Viele Managerinnen und Manager haben während der Corona-Pandemie festgestellt, welche Vorteile das Homeoffice für sie haben kann. Deshalb müssen sich Unternehmen mit dem Thema agiles Arbeiten verstärkt auseinandersetzen. Die Überlegung eine Vier-Tage-Woche anzubieten, um Alltag und Beruf besser vereinbaren zu können, wäre ein spannender Changeprozess.

Dann gibt es noch die inhaltliche Breite: Früher hat man bei Jobs eher auf die Funktion geschaut. Heute kann eine Person innerhalb eines Teams mehrere Rollen einnehmen – rollenbasierte Konzepte.  Dadurch werden Stellenangebote interessanter und vielfältiger. Zudem können einzelne Personen auch in unterschiedlichen Teams eingesetzt werden – je nachdem, welche Fähigkeit gerade benötigt wird.

Man kann also zusammengefasst sagen: Das Gehalt, aber auch die zusätzlichen Angebote müssen stimmen?

Oldiges: Nicht ausschließlich. Unternehmen müssen an ihrer eigenen Kultur arbeiten und das ist schwieriger, als man sich das vorstellt. Wir brauchen eine Kultur, in der mündige Mitarbeitende eigenständig mitentscheiden können und in der Menschen, die wirklich wollen, einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Unternehmens leisten können. Wenn wir bzw. die Bewerber:innen das fühlen, dann gehen wir gerne zur Arbeit. Denn in starren hierarchischen Strukturen fühlt sich heutzutage kaum noch jemand wertgeschätzt.

Und wenn ein Unternehmen im Recruitingprozess dann noch zeigen kann, welche Weiterbildungsmöglichkeiten es gibt, dann gewinnen sie neue Beschäftigte. Inzwischen kommt es immer weniger auf die materiellen Dinge an. Trotz allem muss gute Arbeit auch fair entlohnt werden.

Podcast: Mahle-Führungskräfte über Jobsharing und New Work

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