Fachkräfte fallen nicht vom Himmel – sie erwerben ihr Wissen und Können durch Lehr- und Ausbildungsjahre. Demografischer Wandel und veränderte Vorstellungen der neuen Generation erschweren es allerdings zunehmend, alle angebotenen Ausbildungsplätze zu besetzen.
Deshalb suchen Unternehmen nach kreativen Ideen, um bei potenziellen Azubis zu punkten. Von ganz pragmatischen Benefits wie Fahrdienst oder Wohnkostenzuschuss über gesponserte Freizeitaktivitäten bis hin zu Auslandsaufenthalten reicht die Palette der Maßnahmen, die im Wettbewerb um Bewerber zum Erfolg verhelfen sollen. Nicht zu vernachlässigen ist auch der Aspekt, jungen Menschen Orientierungshilfen zu geben.
Timo Pflüger, Leiter Aus- und Weiterbildung bei der ebm-papst Mulfingen GmbH & Co. KG, bestätigt, dass seit einigen Jahren nicht mehr alle geplanten Ausbildungsplätze besetzt werden können, da es an geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern fehlt. Dies gilt vor allem für den gewerblichen Bereich, doch selbst die duale Ausbildung an der Berufsakademie ist nicht mehr so begehrt.
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Wesentlich weniger Bewerbungen gehen ein
"Ideale Ausbildungskandidaten für die Berufe Industriemechaniker, Mechatroniker oder Elektroingenieur haben die Mittlere Reife. Doch die entscheiden sich oft, gleich das Abitur oder die Fachhochschulreife anzustreben", so Pflügler. Daher würde man jetzt verstärkt auch Hauptschüler ansprechen. "Von unseren 75 angebotenen Ausbildungsplätzen für dieses Jahr sind bisher 54 besetzt. Das war in den beiden vergangenen Jahren ähnlich und wir konnten bis zum Ausbildungsstart am 1. September zirka 60 junge Menschen einstellen", sagt er. Von den zirka zehn Stellen im kaufmännischen Bereich konnten alle besetzt werden.
"Während wir früher auf eine Stellenausschreibung für Ausbildungsplätze um die 200 Bewerbungen erhielten, sind es heute nur noch 30 bis 40", bedauert er. Pflügler führt den Mangel an Nachwuchs vor allem darauf zurück, dass nun die geburtenschwachen Jahrgänge an den Start gehen. Die starke Zuwanderung der vergangenen Jahre habe die Situation nicht verbessert. Die Rekrutierung von Flüchtlingen sei schwierig, weil viele das Ziel hätten, bald wieder in ihre Heimat zurückzukehren und weil die bürokratischen Hürden hoch seien.
Ausbildung bleibt für Unternehmen relevant
Gerhard Bachert, Geschäftsführer beim Firmenausbildungsverbund e. V. Main-Tauber, kurz FABI, nimmt ebenfalls rückläufige Zahlen bei den Auszubildenden wahr. Der Verein Fabi wurde ursprünglich gegründet, weil es zu Zeiten der geburtenstarken Jahrgänge nicht genügend Ausbildungsplätze gab. So entstand ein Ausbildungsverbund, der es auch kleineren Betrieben, die nicht alle Bereiche abbilden konnten, ermöglichte, durch Kooperationen junge Menschen umfassend auszubilden.
Trotz nun umgekehrter Vorzeichen sei die Verbundausbildung auch heute noch wichtiger Bestandteil für kleinere und mittlere Betriebe. Durch Präsenz in Schulen unterstützt Fabi Unternehmen dabei, Auszubildende zu gewinnen.
Das Wichtigste auf der Suche: Mit jungen Menschen in Kontakt kommen
Seit 2011 fördert die Landesregierung Baden-Württemberg die Initiative Ausbildungsbotschafter. Fabi e.V. koordiniert die Initiative seit Beginn erfolgreich in Zusammenarbeit mit dem Landkreis und schult Auszubildende, damit diese in der Lage sind, als eine Art Influenzer Schulabgänger von den Vorteilen einer Berufsausbildung zu überzeugen.
Um Nachwuchs zu gewinnen, kooperiert ebm-papst laut Timo Pflüger mit Schulen aus der Region. In verschiedenen Projekten wie Betriebsbesichtigungen, Praktika, Informationsveranstaltungen, Bewerbungstrainings oder Technikprojekten haben Schüler die Möglichkeit, das Unternehmen kennenzulernen. Dies sei der erfolgreichste Weg.
Weiterhin nutze man Social-Media-Kanäle, um mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen. Azubis aus dem Unternehmen erstellen Beiträge, Videos oder Erfahrungsberichte und stellen Projekte vor. Die eigens hierzu auf freiwilliger Basis eingerichtete Azubi-Gruppe bietet zum Beispiel auch ein Bewerbertraining an.
Das bietet EBM-Papst seinen Auszubildenden
Durch hauseigene Umfragen bei Azubis fand EBM-Papst folgende Kriterien heraus, die bei der Berufswahl eine Rolle spielen: Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes im Hinblick auf Mobilität, Arbeitszeiten, Vergütung, Urlaubstage und sonstige Benefits. Deshalb hat sich das Unternehmen einiges einfallen lassen. Die Auszubildenden können eine firmeneigene Buslinie nutzen, um aus einem Umkreis von ungefähr 25 Kilometern ins Unternehmen zu kommen. Ist ein Umzug erforderlich, dann gibt es einen Wohngeldkostenzuschuss. Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Vermögenswirksame Leistungen und Fahrtkostenzuschuss sind obligatorisch. Zusätzlich gibt es eine Übernahmegarantie nach der Ausbildung, sofern diese erfolgreich abgeschlossen wird.
„In den vergangenen zehn Jahren hat sich das Ausbildungswesen verändert“, sagt Timo Pflüger. „Es ist digitaler geworden, weniger Papier, mehr Bildschirme und Tablets kommen zum Einsatz, zum Beispiel zum Erstellen von Präsentationen. Die Jugendlichen sind selbstbewusster geworden, können sich darstellen und etwas präsentieren. Sie sind auch bereit, Verantwortung zu übernehmen.“
Auf der anderen Seite hätten sie aber auch konkrete Anforderungen und stellten Fragen wie: „Ich möchte ins Ausland, wo hat das Unternehmen Niederlassungen? Darf ich auch mobil arbeiten? Was bietet mir das Unternehmen?“ Heute ist es also eher so, dass sich das Unternehmen bewerben muss. Auch darauf hat EBM-Papst reagiert und stellt in einem One-Pager alle Benefits des Unternehmens vor, zum Beispiel die Kantine mit frisch gekochtem regionalem Essen, gestellte Arbeitskleidung, Betriebssport und so weiter.
So akquiriert EMB-Papst Azubis
Die Akquise für Auszubildende erfolgt klassisch über Stellenanzeigen, Ausbildungsmessen und Berufsinformationstage. Über firmeninterne Aushänge werden Kinder des Stammpersonals angesprochen. Und man setzt zunehmend auch auf Bannerwerbung im Internet – auf Seiten, wo aufgrund von Auswertungen junge Menschen vermutet werden.
Weitere Ansätze sind Fernsehsendungen, in denen Azubi-Projekte vorgestellt werden, die Unterstützung von Jugend-forscht-Projekten oder eine Technik-Initiative am Campus der Hochschule Künzelsau. Auf der Hannover Messe sind Auszubildende von EBM-Papst mit einem eigenen Projekt vertreten. Sie planen, organisieren und präsentieren sich dort selbstständig. Wenn dann hochrangige Politiker vorbeischauen und sich über die Leistungsfähigkeit der Azubis informieren, kann das Unternehmen kann sich überregional als Global Player und interessantes Ausbildungsunternehmen ins Gespräch bringen.
Wittenstein lässt Azubis "Auf die Walz gehen"
Eine breite Palette an Aktivitäten bietet die Wittenstein SE ihren Auszubildenden. Zu Beginn der Ausbildung gibt es eine Come-Together-Woche, in der sich die Berufsanfänger bei verschiedenen Aktivitäten kennenlernen. Damit der Einstieg in die Ausbildung leichter fällt, gibt es die Wittenstein Talent-Arena. Qualifizierte Ausbilder vermitteln in hochwertig ausgestatteten Werkstätten umfassendes Know-how und Fertigkeiten in Konstruktion, Mechanik, Montage und Elektronik. Praxisnahes Arbeiten wird durch theoretische Inhalte ergänzt. Lernphasen in der Talent-Arena bieten Abwechslung.
Nach Abschluss der Ausbildung eröffnet Wittenstein jungen Menschen eine ganz besondere Perspektive. Sie können „auf die Walz gehen“ und zwar weltweit – dorthin, wo das Unternehmen Niederlassungen hat. Dieser Brauch stammt aus dem Mittelalter, als ausgebildete Handwerker umherzogen, um Berufserfahrung zu sammeln und Land und Leute kennenzulernen. Ein Firmenvideo stellt eindrücklich dar, wie junge Menschen diese Chance nutzen, um ihren Horizont zu erweitern. Sie bringen ihre Erfahrungen aus fernen Ländern wie Argentinien, Brasilien, China, Indien, Israel, Kanada und weiteren asiatischen und südamerikanischen Ländern ins Unternehmen ein. Diese „Zeit des Wanderns“ dauert maximal drei Monate und trägt viel zur Persönlichkeitsentwicklung bei.
Ensinger will den jungen Menschen Orientierung geben
Jenseits materieller Angebote sieht Miriam Fiedler, Leiterin Personalentwicklung und Ausbildung bei der Ensinger GmbH in Nufringen, einen wichtigen Ansatzpunkt darin, Orientierungshilfen zu geben. Sie kümmert sich seit 25 Jahren um Auszubildende, davon bereits 16 Jahre bei Ensinger. Seit einigen Jahren stellt sie fest, dass es den jungen Menschen oft an Orientierung und Vorstellungsvermögen fehlt.
"Früher hatten wir in der Zeitspanne von September bis Weihnachten alle Ausbildungsplätze besetzt", erzählt sie. "Heute ist das ein laufender Prozess und wir sind das ganze Jahr über bemüht, die Möglichkeit einer Berufsausbildung ins Bewusstsein der Schulabgänger zu bringen". Dies geschehe durch Praktika, Ausbildungsmessen und Kooperationen mit Schulen. Die kaufmännischen Ausbildungsplätze seien nach wie vor begehrt, schwierig werde es bei den Mint-Berufen wie Verfahrensmechaniker oder Werkzeugmechaniker.
Dies liege auch daran, dass heute die Menschen anders leben. Früher gab es in den meisten Haushalten Mofas, Autos oder Gartengeräte, an denen durch Familienmitglieder geschraubt und repariert wurde. Dies hätte oft schon im Kindesalter den Grundstein für ein Interesse an Technikberufen gelegt. Heute sei es für viele schon ein Abenteuer, selbst eine Glühbirne auszuwechseln. "Hinzu kommt, dass in den Schulen bereits in der sechsten oder siebten Klasse ein Schwerpunkt gewählt wird, wobei der Technikzug nicht zu den beliebtesten gehört", sagt Miriam Fiedler. "Den Jugendlichen fehlt oft der Reifegrad, um mit der Vielfalt der Möglichkeiten umzugehen. Mit 360 Ausbildungsberufen stehen viele Möglichkeiten offen, aber sie können sich unter den einzelnen Berufsbildern nichts vorstellen", bedauert sie. So strebten viele am Ende der Schulzeit die Fachhochschulreife an, um die Entscheidung nochmal aufzuschieben.
Schüler:innen müssen von Ausbildungsberufen überzeugt werden
Miriam Fiedler besucht Elternabende an Schulen, um die Chancen durch eine Berufsausbildung vorzustellen. Sie möchte damit auch dem gesellschaftlichen Druck, dass man nur mit Studium erfolgreich sein könne, entgegenwirken. Neben einem familiären Umfeld, das die talentorientierte Berufsentscheidung fördert, sei es für die Schülerinnen und Schüler wichtig, im Rahmen von Praktika und Gesprächen mit Auszubildenden eine Vorstellung davon zu erhalten, welche Möglichkeiten eine Ausbildung bietet.
"Unsere Strategie ist, auf vielfältige Weise und früh junge Menschen auf die Ausbildungsberufe aufmerksam zu machen. So bieten wir zum Beispiel einen Mint-Tag in der Lehrwerkstatt an, wo Schüler gemeinsam mit unseren Azubis etwas anfertigen, das sie dann mit nach Hause nehmen", sagt Miriam Fiedler. Wichtig sei es, die Angebote kurz und knackig zu halten, weil generell die Aufmerksamkeitspannen kürzer geworden seien. Zudem fehlten für mehrtägige Praktika oft die Kapazitäten und Tagesveranstaltungen würden eine größere Vielfalt ermöglichen.
Als weitere Aktivitäten führt sie an: "Wir besuchen Ausbildungsmessen und bieten Speed-Datings an, um in kurzer Zeit viele potenzielle Bewerberinnen und Bewerber kennenzulernen. Im Zuge von Kooperationen geben unsere Ausbilder auch Technikunterricht an Schulen. Und es liegt uns sehr am Herzen, die Eltern mit ins Boot zu nehmen. Um mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen, berichten unsere Azubis regelmäßig auf einem Instagram-Kanal von ihren Aktivitäten."
Der Aufbau von persönlichen Beziehungen schaffe Vertrauen und erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass sich junge Menschen für eine Ausbildung im Unternehmen entscheiden. Generell sei es für die Bewerber wichtig, dass sie sich individuell entfalten können und dass das Unternehmen auch international tätig sei. Statt mit klassischen Benefits wie Kantine, Fahrtkostenzuschuss, Arbeitskleidung und so weiter, könne man eher punkten mit einem Azubi-Raum, der alle technischen und digitalen Möglichkeiten bietet und jederzeit genutzt werden kann, zum Beispiel um per Instagram als Botschafter:in für das Unternehmen aufzutreten.
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Bearbeitet von Julia Dusold