Sie wollen über Wachstumsfinanzierung sprechen, wirtschaftliche Integration, Digitalisierung und vielen weiteren Themen: Das sechste europäisch-afrikanische Gipfeltreffen, das heute und morgen stattfindet, ist vollgepackt mit Terminen und Themen. Die EU will mit dem Treffen eine erneuerte und vertiefte Partnerschaft zwischen der Afrikanischen Union (AU) und der Europäischen Union schaffen. Ziel sei es, ein „ehrgeiziges Investitionspaket Afrika-Europa auf den Weg zu bringen, in dem globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel und der derzeitigen Gesundheitskrise Rechnung getragen wird“.
Denn gerade letzteres hat seit Beginn der Pandemie für Unstimmigkeiten gesorgt. Kritik gab es zum Beispiel zu den Exportbeschränkungen von medizinischer Schutzausrüstung, die zu Beginn der Corona-Pandemie von der EU verhängt wurde. Meinungsverschiedenheiten gibt es außerdem bei den wirtschaftlichen Beziehungen. „Wir leben immer noch ein koloniales Modell, wo Afrika nur ein Exporteur von Rohstoffen ist", sagt zum Beispiel Carlos Lopes, Professor an der Universität Kapstadt zur ‚Deutschen Welle‘. Es gebe sehr viel Frustration, die Afrika dazu dränge, neue Partnerschaften für die Industrialisierung des Kontinents zu suchen – zum Beispiel mit China, Russland oder der Türkei.
Wie sieht es also mit den europäisch-afrikanischen und deutsch-afrikanischen Wirtschaftsbeziehungen aus?
Ungleiche Beziehungen zwischen Europa und Afrika
Betrachtet man die Importe und Exporte wird schnell klar: Es herrscht weiter Ungleichheit. Die EU importiert aus Afrika vor allem Rohstoffe – die Erdöl- und Erdgasproduktion spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Deutsche Erdöl AG fördert zum Beispiel in Ägypten und Libyen Erdöl und Erdgas.
Afrikanische Länder importieren dagegen vor allem hochwertige Güter wie Industrieprodukte aus Europa. 2020 war die EU mit rund 30 Prozent der Exporte und fast genauso vielen Importen der wichtigste Handelspartner Afrikas.
Die Abhängigkeit zu importierten Gütern wird jedoch auch kritisch gesehen: „Die einseitige Struktur kann nicht helfen, die Probleme des Kontinents zu beseitigen: Hohe Arbeitslosigkeit, ein großer informeller Sektor", sagt der deutsche Afrikawissenschaftler Robert Kappel, der ‚Deutschen Welle‘.
Im vergangenen Jahr beschloss die EU deshalb eine neue Afrika-Strategie, die zum Ziel hatte, auf Augenhöhe zu kooperieren. In fünf Bereichen soll dabei enger zusammengearbeitet werden. Dazu zählen unter anderem eine grüne Wirtschaft, Digitalisierung und nachhaltiges Wachstum.
Kritikpunkt an der Strategie: "Wir würden uns wünschen, dass eine solche Strategie gemeinsam mit der Afrikanischen Union, der afrikanischen und der europäischen Zivilgesellschaft entwickelt wird. Das würde dann auch nicht so wahrgenommen wie ‘Die EU legt etwas vor und die Afrikaner können darauf noch einmal reagieren'", erklärte Mathias Mogge vom Dachverband deutscher Entwicklungsorganisationen Ende 2020.
Rohstoffe aus Afrika gehen vor allem nach China
Doch zurück zum Gipfel. Dort soll auch über Finanzierungen für die Infrastruktur gesprochen werden. Nach Einschätzungen des GTAI kann das auch deutschen Firmen helfen. Denn bisher hat vor allem China diesen Sektor in Afrika besetzt und so wurden bei chinesisch finanzierten Projekten chinesische Anbieter ausgewählt. Inzwischen hat die Volksrepublik bei der Infrastruktur-Finanzierung einen Gang zurückgeschalten – eine Chance für Anbieter aus aller Welt. China investiert bekanntlich seit Jahren in den afrikanischen Kontinent, um sich unter anderem wertvolle Rohstoffe zu sichern.
Ein Beispiel dafür ist die Demokratische Republik Kongo, eines der rohstoffreichsten Länder der Welt. Gefördert werden unter anderem Gold, Kupfer, Mangan und Blei. China war 2019 mit Exporten in Höhe von 625 Millionen US-Dollar mit Abstand der größte Rohstoffabnehmer. Zum Vergleich: Die Rohstoffexporte in die USA betrugen sieben Millionen US-Dollar und nach Deutschland waren es vier Millionen US-Dollar.
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Deutsche Wirtschaft und Industrie in Afrika
Und wie sieht es mit deutschen Firmen in Afrika aus? „Wir sehen zunehmendes Interesse deutscher Unternehmen, sich in Afrika zu betätigen“, sagte auch Christoph Kannengießer, Geschäftsführer des Afrika-Vereins der Deutschen Wirtschaft im August 2019.
Aber: Der Nachbarkontinent spielt als Standort zur Produktion und für den Vertrieb für deutsche Konzerne weiter eine kleine Rolle, bilanziert das GTAI. Die deutsche Wirtschaft hat nur rund ein Prozent der Direktinvestitionen auf dem afrikanischen Kontinent investiert.
Am meisten investieren die deutschen Firmen in Südafrika. Dort werden auch zwei Drittel der gesamten Umsätze deutscher Firmen generiert. Vor allem die deutschen Autobauer sind in Südafrika sehr präsent – zum Beispiel BMW, die Mercedes Benz Group und Volkswagen. Sie profitieren laut GTAI von einem attraktiven Investitionsgesetz für die Autoindustrie.
2018 hat die Mercedes Benz Group zum Beispiel bekanntgegeben, dass das südafrikanische Werk in East London erweitert wird. Kostenpunkt: 600 Millionen Euro. Damit sollten unter anderem die bestehende Montagehalle ausgebaut und neue Logistikeinrichtungen sowie eine neue Rohbauhalle gebaut werden.
Das Werk von Volkswagen ist in Kariega im Süden des Landes. Mehr als 3.500 Menschen sind dort beschäftigt. Am Standort wird unter anderem der Polo Vivo gebaut, der nur in Südafrika erhältlich ist und laut VW das meistverkaufte Fahrzeug des Landes ist. Es werden dort auch die Polos für die Rechtslenker-Märkte weltweit gebaut. 2021 wurden in Kariega insgesamt 129.119 Fahrzeuge gebaut – fast 90.000 davon für den Export.
Warum Marokko wichtig werden könnte
Ein weiteres Land, in dem es viele deutsche Investoren gibt, ist Marokko. Vorteile des Landes sind laut Andreas Wenzel von der AHK Marokko unter andrem die Infrastruktur, günstige Produktionsfaktoren und eine politische Stabilität. Auch hier ist die Automobilindustrie sehr präsent, vor allem seitdem Renault dort 2012 eine Fabrik gebaut hat.
Deutschland liegt bei den Neuinvestitionen auf dem siebten Rang. Spitzenreiter ist Frankreich, der dort auch einen Schwerpunkt für die Luftfahrtindustrie hat. Wenzel sieht laut GTAI ein großes Potential in dem Land: „Marokko wird nach der Corona-Pandemie von der Diversifizierung von Liefer- und Produktionsketten profitieren. Das Land bietet sich als Standort zur Einbindung moderner Produktionsstrukturen in europäische Wertschöpfungsketten an.“