Der digitale Zwilling ist immer öfter im Gebrauch.

Der digitale Zwilling ist immer öfter im Gebrauch. (Bild: Murrstock - stock.adobe.com)

Nach dem Kauf ist vor dem Kauf: Denn mit dem Verkauf einer Maschine ist für die Maschinenbauer der Prozess noch lange nicht zu Ende. „Oft heißt es: Das Sales-Team verkauft die erste Maschine, das Service-Team die zweite“, sagt Philippe Bartissol, Vice President Industrial Equipment Industry bei Dassault Systèmes. Standen früher nur die Maschinen im Vordergrund, rücken inzwischen auch immer mehr produktbegleitende Dienstleistungen in den Fokus.

Der größte Teil des Gewinns komme bei vielen Firmen inzwischen aus dem After-Sales-Service, meint Bartissol. „Ich würde sagen zwischen 40 und 50 Prozent.“ Dem VDMA zufolge ist der Service-Bereich mit rund 20 Prozent inzwischen einer größten Umsatzbringer im Maschinenbau und trage erheblich zum Gesamtertrag bei.

Eine Marktanalyse der Unternehmensberatung Bachert & Partner aus dem Jahr 2021 zeigt auf, dass das Servicegeschäft einer der wichtigsten, aber meist unterschätzten Wertschöpfungsbereiche für den Maschinenbau ist. Dr. Martin Habert, Projektmanager bei der Unternehmensberatung empfiehlt, das Servicegeschäft zur unternehmerischen Top-Management-Aufgabe zu machen. „Wachstum im Service gelingt, wenn er einer klaren Strategie folgt und mit konsequenten materiellen und personellen Investitionen hinterlegt ist“, erklärt er.

Bartissol von Dassault Systèmes hat genau diese Beobachtung gemacht: In der Vergangenheit sei vielen Unternehmenschefs zwar bewusst gewesen, wie wichtig das Service-Geschäft ist: „Sie haben es aber nicht weiter gestärkt oder die gesammelten Daten nicht weiter genutzt.“ Ein weiteres Problem: „Oft haben das Team, das die Maschine installiert hat, und das Team, das sich anschließend um den Service kümmert, auch gar nicht zusammengearbeitet“, so der Experte. Das habe sich in den vergangenen zwei Jahren aber geändert.

Vorteile des After Sales Services: Drei Beispiele

After Sales Services bieten viele Vorteile für den Maschinenbau. Das stellt auch das Fraunhofer CML in einer Studie fest. Drei Beispiele:

  • Umsatz: Unternehmen, die mit sinkenden Preisen für ihre Produkt konfrontiert sind, können das durch das Servicegeschäft ausgleichen, heißt es in der Studie. Zudem sind zum Beispiel Instandhaltungsleistungen weniger von konjunkturellen Schwankungen betroffen. Dadurch kann After Sales auch zum Stabilisieren des Umsatzes beitragen.
  • Alleinstellungsmerkmal: Mit After Sales Services können sich Unternehmen von der Konkurrenz abheben.
  • Kundenbindung: Beim After Sales haben Firmen direkten Kontakt zu den Kunden. „Nachhaltige Kundenbindung bringt darüber hinaus auch einen monetären Vorteil mit sich“, schreiben die Fraunhofer-Experten: Oft sei es wesentlich günstiger einen Kunden zu halten, als einen Neukunden zu akquirieren.

Mehrere digitale Zwillinge für eine Maschine

Philippe Bartissol ist Vice President Industrial Equipment Industry bei Dassault Systèmes.
Philippe Bartissol ist Vice President Industrial Equipment Industry bei Dassault Systèmes. (Bild: Dassault Systèmes)

Wie in vielen anderen Bereichen auch, spielt die Digitalisierung dabei eine immer wichtigere Rolle: „Wir sprechen immer davon, digitaler zu werden“, sagt Bartissol im Gespräch mit PRODUKTION. Das sei bisher von Entwicklerseite aus auch getan worden. „Jetzt muss es von der Entwicklung über die Fertigung bis hin zur Installation und zum Service realisiert werden.“ Wenn Kunden die Produktplattform für die Zukunft planen, fragen sie inzwischen zum Beispiel nach Service-Strukturen und Service-Twins. Das war vor einigen Jahren noch nicht so, berichtet Bartissol. Die Kunden wollen zum Beispiel, dass der Außentechniker durch den Service-Twin Zugriff auf bestimmte Daten erhält.

Das steckt hinter dem „Specific Virtual Twin“ im Service-Geschäft: Bisher haben viele Maschinenbauer mit einem digitalen beziehungsweise virtuellen generischen Zwilling gearbeitet. Es gab also keinen Zwilling pro Kundenauftrag. Nun ist es möglich, einen Zwilling pro Maschine, pro Seriennummer zu haben. „Viele wollen einen Engineering-und-Manufacturing-Twin für die Auftragsabwicklung“, erklärt Bartissol. Dadurch soll von der Bestellung bis zum Versand der Maschine alles geregelt sein.

„Und sobald die Maschine aufgebaut ist, wollen sie einen Engineering- und einen Service-Twin. Engineering, weil man so bei technischen Problemen schnell handeln kann“, so der Experte weiter. Der Service-Twin ist zum Beispiel für Wartungsarbeiten gedacht.

Mehr zum digitalen Zwilling lesen Sie hier: Wie mächtig ist der digitale Zwilling wirklich?

Diese Leistungen zählen zum After Sales Service

Zu den After Sales Services gehören unter anderem

  • Ersatzteilversorgung
  • Reparaturservice
  • Erweiterter Produktsupport (zum Beispiel durch Wartungsverträge oder erweiterte Garantieleistungen)
  • Schulungen

Digitaler Zwilling bei älteren Maschinen - klappt das?

Der Vorteil liegt auf der Hand: Bevor zum Beispiel ein Servicetechniker zu einem Kunden fährt, kann er sich über das digitale Abbild anschauen, was an der Maschine auszubessern ist und die entsprechenden Ersatzteile parat haben.

Der Service Virtual Twin ist derzeit nur bei neu installierten Maschinen möglich. Je nach Art der Reparatur könne der digitale Zwilling dann sogar upgedatet werden, damit er immer auf dem neuesten Stand ist und nicht auf dem Stand zum Kaufzeitpunkt, so Bartissol.

Doch was ist mit Maschinen, die schon älter sind? „Wir arbeiten daran, auch einen Mehrwert für bestehende und sogar sehr alte Maschinen zu bieten“, sagt Bartissol. Da sei normalerweise keine 3D-Abbildung in Form eines virtuellen Zwillings möglich, „aber man kann zum Beispiel immer noch mit Datenanalyse arbeiten und daraus Dinge ableiten“.

Deutscher Maschinenbau-Gipfel 2022
(Bild: mi-connect)

Deutscher Maschinenbau-Gipfel

Der Maschinenbau-Gipfel 2023 ist vorbei - hier können Sie die Highlights Revue passieren lassen:

 

Die Veranstalter des Maschinenbau-Gipfels, VDMA und PRODUKTION freuen sich, wenn Sie auch 2025 in Berlin dabei sind!

 

Hier geht es zur Website des Maschinenbau-Gipfels.

Ebenfalls in Arbeit ist ein virtueller Zwilling, „in dem ein Content-Management-System integriert ist, um innerhalb der technischen Dokumentation – also innerhalb von strukturierten Texten – Plattformobjekte einbinden zu können“, erzählt Bartissol. Arbeitsanweisungen sollen so zum Beispiel Teil des digitalen Abbilds werden.

Doch damit ist die Digitalisierung des Service-Geschäfts noch nicht abgeschlossen. „Was in Zukunft noch mehr kommen wird, ist der Einsatz von VR plus AR“, sagt Bartissol. Dafür hat Dassault Systèmes ein französisches Unternehmen – Diota – gekauft, das sich auf AR für den Service spezialisiert hat. „Wir wollen diese Technologie in den nächsten zwei oder drei Jahren in die Plattform integrieren“, erklärt der Experte.

Digitale Zwillinge werden in der Industrie zum Standard

63 Prozent der Industrieunternehmen sind überzeugt, dass digitale Zwillinge unverzichtbar sind, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Bereits 44 Prozent setzen digitale Zwillinge ein, acht Prozent planen dies und weitere 14 Prozent können sich dies grundsätzlich vorstellen.

Nur zehn Prozent können sich den Einsatz auch in Zukunft nicht vorstellen, jedes fünfte Industrieunternehmen (20 Prozent) hat sich noch gar nicht mit der Technologie beschäftigt. Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom unter 603 Unternehmen in Deutschland, darunter 163 Industrieunternehmen.

„Digitale Zwillinge werden in der Industrie künftig ein Standard sein. Mit ihnen können Hersteller ihre Abläufe optimieren, Kosten senken und Ressourcen schonen“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg in einer Pressemitteilung. Digitale Zwillinge seien ein entscheidender Baustein für nachhaltigeres Wirtschaften in der Produktion.

Das spiegelt sich auch in den Hoffnungen der Industrie: 59 Prozent der deutschen Industrieunternehmen gehen davon aus, dass digitale Zwillinge zu einer nachhaltigen Produktion beitragen. Knapp die Hälfte (49 Prozent) meint, digitale Zwillinge ermöglichen völlig neue Geschäftsmodelle. Lediglich 17 Prozent der Industrieunternehmen in Deutschland sind der Meinung, digitale Zwillinge seien ein Hype, der bald vorüber ginge.

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