
„Das Interesse an Wasserstoff in der deutschen Industrie wächst“, sagt Matthias von Bechtolsheim, Director bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little. - (Bild: Arthur D. Little)
Die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) der Bundesregierung und die damit verbundene Förderung zum Einsatz von Wasserstofftechnologien haben der H2-Thematik einen immensen Aufschwung gebracht. Und nicht nur der! Denn für die Industrie gibt es endlich mal wieder guten Nachrichten, nachdem durch das Aufkommen der Elektromobilität unzählige Arbeitsplätze beispielsweise in der spanenden Fertigung wegfallen (sollen). Nun hingegen kann der deutsche Maschinenbau mit breiter Brust auf seine Expertise verweisen, Brennstoffzellen auf höchstem Niveau produzieren zu können.
Auch Stahlhersteller sehen eine Lösung aus dem Dilemma des schlechten CO2-Footprints herauszukommen - indem sie mittels grünem Wasserstoff CO2-neutral Stahl produzieren können. Welche weiteren Branchen profitieren können und welche Problemzonen es noch zu beseitigen gilt, lesen Sie im nachfolgenden Interview mit Matthias von Bechtolsheim.
PRODUKTION: Grüner Wasserstoff ist ein großer Hoffnungsträger für die deutsche Industrie. Kann H2 beziehungsweise die NWS der Bundesregierung den Erwartungen gerecht werden?
Matthias von Bechtolsheim: Wasserstoff kann auf Grund seines flexiblen Einsatzes vor allem die Bereiche dekarbonisieren, in denen realistische Technologiealternativen noch fehlen – zum Beispiel im Schwerlastverkehr oder in der industriellen Energie- und Rohstoffnutzung. Fokus der Wasserstoffstrategie liegt hier auf dem grünen Wasserstoff, welcher aus erneuerbaren Quellen produziert wird. Regionen mit günstigen Standortbedingungen für Wind- und Solarenergie wie in Nordafrika sind in puncto Erzeugungsmöglichkeiten in einer besseren Position, um wettbewerbsfähig grünen Wasserstoff herzustellen. Dies wiederum stellt den Ausbau eines Heimartmarktes vor wirtschaftliche Herausforderungen.
Brennstoffzelle: Maschinenbau lebt durch Wasserstoff auf

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Da könnte der Staat weiterhelfen. Was genau sieht das Förderprogramm vor?
von Bechtolsheim: Insgesamt möchte die Bundesregierung sieben Milliarden Euro für nationale Wasserstoffprojekte und zusätzliche zwei Milliarden für internationale Partnerschaften bereitstellen. Das Förderprogramm ist anschlussfähig an den bisherigen Förderrichtlinien der Bundesregierung wie zum Beispiel das ressortübergreifende Nationale Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) und erweitert diese. Die NWS umfasst mit insgesamt 38 Maßnahmen ein breites Spektrum. Darunter fallen auch großzügige Förderungen zur Investitionsunterstützungen in Wasserstoff-Fahrzeuge: 2,1 Milliarden Euro an Zuschüssen zum Kauf elektrisch betriebener Fahrzeuge, 900 Millionen für Nutzfahrzeuge und 600 Millionen für Busse bis 2030. Andere Maßnahmen betreffen die CO2-Bepreisung für fossile Kraftstoffe im Bereich Verkehr und Wärme und eine mögliche EEG-Befreiung.
Welche Unternehmen und Branchen haben das größte Potential von diesem Paket zu profitieren?
von Bechtolsheim: Da Wasserstoff heute in der Chemieindustrie als Grundstoff schon im Einsatz ist, kann durch eine Umstellung in der Produktion grauer Wasserstoff durch grünen ersetzt werden. Die Stahlproduktion kann ebenfalls große Vorteile erzielen durch den Ersatz von Wasserstoff für Steinkohlekoks und so die Produktionsprozesse dekarbonisieren. Auch die NWS sieht auf Grund der hohen Nachfragen die Chemie- und Stahlindustrie als Treiber des Markthochlaufs und möchte verschiedene Investitionskostenzuschüsse für die Umstellung auf klimafreundliche Verfahren bereitstellen und branchenspezifische Dialogformate für eine Dekarbonisierungsstrategie unterstützen.
Der Mobilitäts- und Transportsektor erhält in der NWS eine neue Dimension. Wasserstoffanwendungen werden auf weitere Verkehrsträger im Transport- und Schwerlastbereich erweitert, wo direkte Verstromung nicht sinnvoll ist. Aktuell gibt es im Rahmen von NIP auch Förderaufrufe zur Marktaktivierung von Abfallentsorgungsmaschinen, Kehrmaschinen und Flurförderzeugen.
Wie weit ist die deutsche Industrie beim Einsatz und wie weit in puncto Forschung?
von Bechtolsheim: Zunehmend möchten Stahlunternehmen wie Salzgitter und Thyssenkrupp Steel CO2- Einsparpotenziale realisieren. Genutzt wird die Wasserstoffzufuhr für die Reduktion von Roheisen. Ein weiteres Anwendungsgebiet betrifft die Erzeugung von Chemikalien wie Methanol durch Wasserstoff. Dow Deutschland, Thyssenkrupp Steel und der Zementhersteller Holcim möchten prozessbedingte Emissionen abfangen und mit Wasserstoff in Chemikalien weiterverarbeiten. Dies führt zu neuen Wertschöpfungsketten.
Es gibt weitere Vorhaben wie die Get H2 Pipeline, die grünen Wasserstoff von Lingen in das Ruhrgebiet – speziell für die industriellen Abnehmer – transportieren soll. Was die Forschungsvorhaben betrifft, ist die Erzeugung von synthetischen Flüssigkraftstoffen im Fokus. Hierzu gibt es auch erste Demonstrationsprojekte wie das Projekt NAMOSYN (Nachhaltige Mobilität durch synthetische Kraftstoffe).
Kann Deutschland tatsächlich die angestrebte Führungsposition einnehmen?
von Bechtolsheim: Im internationalen Ländervergleich nehmen derzeit vor allem die asiatischen Länder wie Japan und Südkorea eine Vorreiterstellung ein. Japan ist in Sachen Brennstoffzellenfahrzeuge sehr fortgeschritten. Etwa durch die Initiativen von Toyota und Honda. Als weltweit größter LNG-Importeur ist Japan zudem auch bestrebt, eine alternative Gasquelle zu sichern und beabsichtigt, 100.000 Tankstellen in den nächsten 10 Jahren zu bauen. Aber auch Deutschland zählt zu den Leitmärkten mit der Errichtung von Elektrolyseuren mit 10 MegaWatt-Kapazität oder die Herstellung von wasserstoffbetriebenen Zügen von Alstom.
Gibt es noch Fallstricke für den Einsatz von Wasserstoff?
von Bechtolsheim: Handlungsbedarf besteht bei den rechtlichen Rahmenbedingungen und Standardsetzung. Diese stellen eine wichtige Voraussetzung für europäische und internationale Partnerschaften. Da die bisherigen Projekte keine Betriebskostenförderung, sondern nur eine einmalige Investitionsförderung erhalten, ist die Frage nach der Wirtschaftlichkeit des Geschäftsmodell ausschlaggebend.
Ein weiteres Problem bleibt die CO2_Bepreisung. Solange Öl und Gas von den entsprechenden Ländern billig nach Europa beziehungsweise Deutschland importiert werden und es keine angemessene CO2-Bepreisung gibt, wird Wasserstoff schwerlich wettbewerbsfähig sein.
Alles Wissenswerte zum Thema CO2-neutrale Industrie
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