Investitionen in die Industrie 4.0 zahlen sich aus. So steht es schwarz auf weiß in einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung Roland Berger. Dabei steigert eine vernetzte und flexible Fertigung nicht nur die Produktivität, vielmehr sorgt Industrie 4.0 für eine ganze Reihe positiver Effekte in Unternehmen aller Branchen. Am Beispiel eines Automobilzulieferers haben die Experten von Roland Berger diese Effekte analysiert.
Das Ergebnis: Durch einen höheren Kapitalumschlag, niedrigere Personalkosten, höhere Wertschöpfung und eine bessere Auslastung der Anlagen wird insgesamt die Profitabilität des Unternehmens von 6 auf 13 Prozent mehr als verdoppelt.
Klingt super. Doch in welche Technologien der Industrie 4.0 sollen die Unternehmen investieren? Was lohnt sich wirklich? Wo muss ich überhaupt anfangen? Auch SKF stand vor diesen Fragen, bevor das schwedische Unternehmen seinen Göteborger Standort auf Industrie 4.0 umstellte.
„Die Entscheidung für das Projekt in Göteborg fußt auf zwei maßgeblichen Ursachen“, sagt Dr. Heike Sengstschmid, Managerin Business Transformation Bearing Operations bei SKF in Göteborg. Zum einen haben sich die Kundenanforderungen verändert, zum anderen hat die Technologie erhebliche Fortschritte gemacht. Die Folge: SKF wollte die Pendelrollenlager-Fertigung umfassend automatisieren und digitalisieren.
Das war auch nötig. SKF’s Kunden verlangten Volumina und Varianten, die die Schweden nicht mehr wirtschaftlich produzieren konnten. Die angestammte Massenfertigung war einfach nicht mehr flexibel genug – auch wegen zum Teil veralteter Maschinen.
„Die Welt verändert sich schnell und damit steigt der Anpassungdruck“, erklärt Martin Keller, Produktmanager bei der Commerzbank. Das Geldhaus nimmt wahr, dass sich eigentlich jedes Unternehmen mit dem Thema Industrie 4.0 beschäftigt. Neben dem Anpassungsdruck macht Keller vor allem die aktuell günstigen Finanzierungsbedingungen dafür aus: „Das lädt natürlich ein, Investitionen zu tätigen.“
Welche Business Cases stehen hinter Industrie 4.0?
Auch Matthias Breunig, Partner bei der Unternehmensberatung McKinsey, sieht bei den meisten Unternehmen die Bereitschaft, in Industrie 4.0 zu investieren. Die Firmen seien aber trotzdem gewillt, genau zu verstehen, was ist eigentlich ein Business Case einer solchen Investition, was bekommen sie letztendlich da raus? „Und das ist aus meiner Sicht auch richtig so“, sagt Breunig. Unternehmen müssen verstehen, an welchen Stellen Industrie 4.0 Nutzenpotenziale bietet – und zwar ganz konkret für ihre Firma.
Die SKF-Unternehmensleitung hat an das Göteborger Werk und das Projektteam eine klare Aufgabe gestellt: Wettbewerbsfähigkeit durch Kostensenkung erreichen. Modernste Entwicklungen sollten dabei berücksichtigt werden.
„Somit wurden auch die vier verschiedenen Aspekte aus Industrie 4.0 von Anfang mit einbezogen“, sagt SKF-Managerin Sengstschmid. Die Rede ist also von vertikaler und horizontaler Integration, End-to-End-Engineering und dem Credo ‚der Mensch im Mittelpunkt‘. Eine weitere Rahmenbedingung war, dass die laufende Produktion nicht unterbrochen werden durfte. Folglich war ein Konzept nötig, dass einen schrittweisen Umstieg ermöglichte.
McKinsey-Partner Breunig sagt: „Dafür müssen sich Unternehmen im ersten Schritt darüber klar werden, welches Problem aus Geschäftssicht überhaupt gelöst werden soll.“ Anschließend sollten Firmen dann digitale Hebel identifizieren, die helfen, diese Probleme zu lösen. Sinnvolle Use Cases sind immer konkrete Anwendungen von Technologien. Beim Thema Big Data wäre dies beispielsweise Predictive Maintenance.
„Technologien sind als Planungselement auf einer Industrie 4.0 Roadmap allein nicht ausreichend – man muss immer die Anwendung im Blick behalten“, so Breunig. Die Commerzbank empfiehlt, bevor Unternehmen Investitionen angehen, sollten sie sich klar machen, was die eigene Kernkompetenz sowie die künftige Geschäftsstrategie ist. Letztere kann sich in Zeiten der Digitalisierung und Industrie 4.0 durchaus signifikant ändern. In aller Regel ist die Kernkompetenz eines Industrieunternehmens das Wertschöpfungsthema. „Also dass man den eigenen Produktionsprozess überprüft, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, erläutert Commerzbank-Experte Keller.
Bevor eine Firma Geld ausgibt, muss sie prüfen, wie sie in Zukunft Prozesse und Produktionsabläufe gestalten will. Das hat ganz viel mit Methode, in aller Regel mit IT zu tun. Insofern brauchen die Unternehmen dafür die richtigen Leute.
Mitarbeiter auf Industrie 4.0 vorbereiten
Die können von extern kommen, oft finden sich aber auch im eigenen Haus dafür Experten. Hierbei müssen die Firmen zudem darauf achten, welche Vorbereitungsschritte der Mitarbeiterstamm benötigt, damit Investitionen später auch aufgehen. „Ein schönes Bild ist, wenn man in Produktionsprozessen denkt“, sagt Keller. Das heißt, die modernste Maschine kann eine Fehlinvestition sein, wenn sie nicht in den richtigen Produktionsprozess eingepasst werden kann. „Dazu braucht man die Planung sowie die End-to-End-Intelligenz“, so Keller.
Für das Industrie 4.0-Projektteam rund um Heike Sengstschmid standen zunächst einmal viele Meetings und Gespräche auf dem Programm, viele verschiedene Ansätze wurden diskutiert. Der Grund dafür: Die Umsetzung von Industrie 4.0 in der Fertigung steckt noch immer in den Kinderschuhen, es liegen kaum Erfahrungswerte vor.
Jedenfalls waren Kriterien wie Flexibilität, Qualität und Rückverfolgbarkeit in allen Konzepten gleichermaßen vertreten. „Und wir haben gelernt, dass heutzutage ein radikales Umdenken im Kontext der Digitalisierung erforderlich ist“, so Sengstschmid. Ansonsten sei es nicht möglich die Wettbewerbsfähigkeit in der Produktion zu erhalten und auszubauen. Dazu gehört die Einbindung von Kunden und Lieferanten ebenso wie die eigentliche, technische Umsetzung in der Fertigung.
Sengstschmids Team hat die Montage vollautomatisiert – insbesondere in Bezug auf verkettete Fertigungsprozesse. „Diese haben wir in ein flexibles Zellenkonzept aufgebrochen“, erklärt die Managerin und ergänzt: „Dazu gehört natürlich auch die Automatisierung der entsprechenden Logistik.“ Darüber hinaus hat der schwedische Konzern von Anfang an auf eine klare Kommunikation gesetzt. Der Veränderungsprozess sollte in allen Bereichen und für alle Mitarbeiter transparent sein.
Industrie 4.0 zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Kerngeschäfte von ganzen Industrie-Generationen verändern werden. „Die Grundvoraussetzung ist folglich die Strategiefrage“, sagt Commerzbank-Experte Keller und fügt hinzu: „Und als Banker muss ich das sagen: Natürlich müssen Investitionen auch von der Finanzkraft eines Unternehmens darstellbar sein.“ Ebenso müssen sie auch einen Business Case erfüllen können, der sich auszahlt. Großinvestitionen in den typischen Produktionsprozess haben längere Return-on-Invest-Zeiten.
„Wir kommen aus einer Welt, in der Unternehmen und Banken früher Abschreibungslaufzeiten betrachtet haben.“ Allerdings sind die Innovationszyklen heute kürzer – auch bei sehr großen Investitionen. „Mittelfristig sollte aber der Return-on-Invest – wenn es um Produktionsprozesse geht – dann sichtbar sein“, so Keller.
Probleme und Risiken
Eine der größten Herausforderungen für SKF am Standort Göteborg ist die gleichzeitige Einführung eines integrierten IT-Systems, das alle Arbeitsprozesse betreffen und verändern wird. Das beansprucht erhebliche Ressourcen und birgt Risiken, die womöglich auch Auswirkungen auf die Modernisierung der Fertigung haben. „Zudem befindet sich durch den Einzug der Digitalisierung die gesamte Industrie im Umbruch“, so SKF-Managerin Sengstschmid.
Damit einher geht eine enorme Erwartungshaltung – etwa in Sachen Produktivitätssteigerung und Einbindung von Kundenanforderungen in eine Fertigung, die immer schnelleren Lebenszyklen unterworfen ist. Eine weitere Herausforderung besteht in der Entwicklung der Kompetenzen der Mitarbeiter, die in diesem veränderten Umfeld arbeiten.
Ein wesentlicher Schritt, um diese Probleme zu lösen, war die Entzerrung und schrittweise Umsetzung der einzelnen Arbeitspakete. Darüber hinaus hat die Standardisierung aller möglichen Einzel-Komponenten und -Schritte die Komplexität in allen Bereichen gesenkt. Das gilt insbesondere für die Schnittstelle zwischen Operation Technology und Information Technology, also die Verknüpfung von Maschinenpark und EDV.
Für ein abschließendes Urteil über SKF’s Industrie 4.0-Projekt ist es sicher noch zu früh. Was sich aber schon jetzt abzeichnet, ist Folgendes : Dank der automatisierten Montage der ziemlich großen Lager müssen die Mitarbeiter nicht mehr so viele anstrengende, manuelle Tätigkeiten ausführen.
Hinzu kommen Vorteile in puncto Produktqualität durch eine automatische Qualitätssicherung. Profitabilität, Auslastung der Fabriken, Personalkosten, ROCE (Return on Capital Employed) – alles Kennzahlen, die davon profitieren, wenn sich ein Unternehmen in Sachen Industrie 4.0 neu aufstellt und dabei alles richtig macht.
„Wenn ich eine Messgröße sehe, die mir mit Blick auf Industrie 4.0 am besten gefällt, dann ist das der Kapitalumschlag. Dass Unternehmen Produkte mit hoher Qualität anbieten, ist ohnehin die Erwartung der Kunden“, sagt Commerzbank-Experte Keller. Schnellere Produktionsprozesse, verlässlichere Produktion und keine Liegezeiten werden die Erfolgsfaktoren der Zukunft sein. Kapital lässt sich dadurch schneller umschlagen.
Produktionsgeschwindigkeit als Steuerungsinstrument
Des Weiteren brauchen die Unternehmen weniger Umlaufvermögen und müssen weniger fertige Produkte vorhalten. Sie können nämlich dank Industrie 4.0 noch näher am Optimum von just-in-time produzieren und liefern. „Insofern wird auch die Produktionsgeschwindigkeit ein wichtiges Steuerungsinstrument der Zukunft sein“, so Keller.
Das setzt allerdings voraus, dass Unternehmen Prozesszeiten messen können. Letztendlich wird eine ganz wichtige Zielfunktion in der Zukunft sein, dass Firmen Prozessgeschwindigkeiten messen können. In den klassischen Bilanzfunktionen ist Kapitalumschlag eine passende Kennzahl dafür.
Unternehmensberater Breunig mahnt: „Es sollte immer ein klarer Return-on-Invest vorhanden sein – in der Regel mit einem Zeithorizont von zwei bis drei Jahren.“ Das heißt, dass der erwartete Nutzen und der Aufwand für die Implementierung in der laufenden Produktion im Vorfeld abgeschätzt werden muss. Ein Sonderfall sind Investitionen in IT- beziehungsweise Datenarchitekturen, die zum Teil keinen direkten, zuzuordnenden Nutzen haben.
Von einem Return-on-Invest kann bei SKF nach so kurzer Zeit, wohl noch keine Rede sein. Aber schon jetzt hat das Unternehmen viel Wissen dazu gewonnen und ist nach wie vor dabei, noch viel aus dem Projekt zu lernen. „Von den entsprechenden Erfahrungen werden kommende Modernisierungsvorhaben profitieren“, sagt die SKF-Managerin Sengstschmid. Das trifft auch auf den Standort Schweinfurt zu, wo SKF rund 15 Millionen Euro in eine vergleichbare Modernisierung der Zylinderrollenlagerfertigung investiert.
Logisch, jedes Projekt ist einzigartig – aber die Teams, die sich dieser Aufgabe stellen müssen, werden schon auf gewisse Standards aufbauen können, etwa in Sachen IT-Infrastruktur, Kommunikation, Maschinen oder auch Kompetenzen.
Fazit: Investitionen in die Industrie 4.0 sollten in Zusammenhang gesehen werden mit ein, zwei, drei, vier anderen Initiativen, die dann darauf aufbauen. Das gilt für den technischen Aspekt, aber auch für den Business Case dieser Grundlageninvestition, die es zu finanzieren gilt.
Gleichwohl müssen Unternehmen vorsichtig sein mit allem, was einen Payback von angeblich mehreren Jahren hat, aber strategisch als ganz wichtig gilt.
12 Tipps für Investitionen in Industrie 4.0
1. Wer in Industrie 4.0 investieren will, muss verstehen, was ist eigentlich ein Business Case einer solchen Investition. Also, was sind die konkreten Investitionen, die ich tätigen muss?
2. Unternehmen, die Investitionen planen, müssen genau verstanden haben, wo die Potenziale liegen und zwar nicht die Potenziale aus der Industrie 4.0 heraus , sondern wirklich spezifisch für die eigene Industrie beziehungsweise das eigene Unternehmen.
3. Es geht bei Industrie 4.0 nicht darum, einfach nur in eine Technologie zu investieren. Ich muss verstehen, was sind die Herausforderungen, die ich versuche, zu lösen, was ist da Nutzenpotenzial, das ich mir verspreche, was ist die Investition, die ich tätigen muss.
4. Insbesondere kleinere Unternehmen müssen ein klares Verständnis entwickeln, was für Lösungen am Markt sind. Die Firmen sind etwa nicht gezwungen, Algorithmen selber zu schreiben oder Sensoren zu entwickeln. Vieles lässt sich am Markt zukaufen. Nicht alles, was strategisch wichtig ist, muss ich zwangsläufig in-house machen.
5. Die Frage ist: Wie setzt man die Schwerpunkte und wo investiert man zuerst? Hat man den gesamten Wertschöpfungsprozess vor Augen – über den Einkauf, die Produktion, die Verwaltung bis zum Verkauf – wird es, immer an den Enden – also Einkauf und Verkauf – die Situation geben, sich fit machen zu müssen, um auf Veränderungen im Markt reagieren zu können.
6. Bevor man Investitionen angeht, sollten die Unternehmen sich klar machen, was die eigene Kernkompetenz sowie die zukünftige Geschäftsstrategie ist. Letztere kann sich in Zeiten der Digitalisierung und Industrie 4.0 signifikant ändern.
7. Hat man für sich geprüft, wo man seine Kernkompetenzen hat, sollte man hier als kleines Unternehmen den Fokus auf die Eigeninitiative setzen. Bei den Randthemen sollten die Unternehmen nach Partnerschaften suchen. Wenn die Kernkompetenz die Produktion ist, wäre es beispielsweise sinnvoll, sich einen Partner für den Vertrieb oder den Einkauf zu suchen.
8. Eine Firma in Richtung Industrie 4.0 zu transformieren, bedeutet natürlich auch, dass man neue Expertise braucht. Sich hier in Netzwerken zusammenzuschließen, von der Erfahrung anderer profitieren, ist nötig und wird stark nachgefragt.
9. Wenn die Unternehmen ihre neue Geschäftsstrategie unter Berücksichtigung einer Marktbeobachtung überprüft haben, gilt es – bevor man Geld ausgibt – zu prüfen, wie man künftig Prozesse und Produktionsabläufe gestalten will.
10. Natürlich müssen die Unternehmen die Investitionen auch stemmen können. Ebenso müssen sie einen Business Case erfüllen, der sich auszahlt.
11. Markt-Timing spielt beim Weg in die Industrie 4.0 eine ganz entscheidende Rolle. Investiert man zu früh, droht die Gefahr, dass die Investitionen ineffektiv sind. Ist man zu spät dran, hat der Markt einen schon überholt.
12. Bevor Unternehmen in ihre Produktionsprozesse investieren, sollten sie eine Prozessanalyse machen. Wo ist der Engpass, wo sind die Liegezeiten, wo sind die Leerlaufzeiten, die Problemzeiten und die Qualitätsdefizite – und genau da sollte man investieren.