Einen Anzug überstreifen und dann so stark wie Superman oder Hulk weiterarbeiten. Wer träumt da nicht davon. Gerade in Produktions- und Logistikumgebungen werden täglich viele Handgriffe ausgeführt, die körperlich belastend sind. Vor allem körperliche Fehlbelastungen beim Heben und Tragen im Beruf führen laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zu Muskel- und Skeletterkrankungen und sind somit für 23 % aller krankheitsbedingten Fehlzeiten in Deutschland verantwortlich.
Wearable Robotics können hier Abhilfe schaffen. Wohl auch aus diesem Grund wird Exoskeletten laut BIS Research bis zum Jahr 2026 ein Marktvolumen von 4,65 Milliarden US-Dollar prognostiziert.
23 % aller Fehltage haben Fehlbelastungen beim Heben zur Ursache
„Exoskelette sollen keine Übermenschen für die Produktion erschaffen, sondern Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch physische Ergonomieunterstützung vor gefährlichen Bewegungsrichtungen schützen, welche mittel- und langfristig zu Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems führen“, erklärt Dr. Peter Heiligensetzer, CEO von German Bionic Systems (CBS). Fehlzeiten im Job sollen dadurch sinken.
Das Unternehmen mit Sitz in Augsburg fertigt als erster deutscher Hersteller ein Exoskelett in Serie. Das Produkt Cray X wurde speziell für die manuelle Handhabe von Gütern und Werkzeugen konzipiert. Es verringert den Kompressionsdruck im unteren Rückenbereich beim Heben schwerer Lasten.
Sechs Jahre hat Heiligensetzer mit seinem Team an der Entwicklung des aktiven Exoskeletts gefeilt. „Der Feinschliff der vergangenen Monate bestand hauptsächlich in einer neue Akku-Technik“, erzählt der CEO und fährt fort: „Wir verwenden nun Makita-Akkus mit einer Energierückspeisung, um den Energiebedarf des Exoskeletts zu minimieren.“
Damit senke man auch die Akkugröße und somit wiederum das Gewicht der Maschine. Weiterhin hat CBS einige leichtere Komponenten verbaut und die Verkleidungen überarbeitet und industrieller gestaltet. „Der Cray X lässt sich jetzt also durchaus sehen“, sagt der Firmenchef stolz über sein serienreifes Produkt.
Einsatzmöglichkeiten sieht Heiligensetzer überall dort, wo menschliche Arbeit nicht sinnvoll durch Vollautomatisierung oder Robotik-Systeme ersetzt werden kann. „Hierzu zählen Arbeitsprozesse in der industriellen Produktion, beispielsweise bei Autoherstellern, aber auch körperlich schwere Tätigkeiten im Baugewerbe, der Logistik oder im Pflegebereich“, erläutert der CEO.
Christian Dahmen, Spezialist für Exoskelette bei der BMW Group
»Alle Probanden nehmen die erhoffte Entlastung des unteren Rückenbereichs dank Ergoskelett wahr.«
Autohersteller BMW setzt bereits auf Exoskelette. Im US-Werk in Spartanburg nutzen Arbeiter die Assistenzsysteme bereits bei der Überkopf-Montage. Insgesamt 68 sogenannte Exoskelett-Westen sind in Spartanburg bereits im Serieneinsatz. Doch auch in Deutschland haben es Exoskelette schon in die Serienfertigung geschafft.
„Die Tests mit den Exoskeletten für den Unterkörper konnten wir 2017 in unseren deutschen Werken erfolgreich abschließen“, berichtet Christian Dahmen, Spezialist für Exoskelette bei der BMW Group. Jeder eingewiesene Mitarbeiter könne heute also jederzeit auf diese Sitzhilfen zurückgreifen.
4,65 Mrd US-Dollar Marktvolumen wird Exoskeletten bis 2026 prognostiziert
Seitens der betroffenen Mitarbeiter bekam Dahmen während der Testphase meist positives Feedback. Eine rechtzeitige Einbindung und Freiwilligkeit schaffe seiner Erfahrung nach die nötige Akzeptanz. Diese bestätigt sich bei den Exoskeletten für den Oberköper erneut. Auch für diesen Typus liegen Arbeitsplatzbewertungen und CE-Zertifizierung mittlerweile vor, die Geräte seien laut Dahmen einsatzbereit.
„Unsere Mitarbeiter zeigen sich offen gegenüber der neuen Technologie und nutzten gern die Chance, den Einführungsprozess und über ihre Rückmeldungen auch die Gestaltung des Produktes zu beeinflussen“, erzählt der Exoskelette-Spezialist. Gerade in der Anlernphase schätzten die Mitarbeiter die Hilfestellung bei Überkopfarbeiten.
Im Betrieb überwiegen die Vorteile aus Mitarbeitersicht immer dann, wenn es bei eher statischer Arbeit schwerere Lasten zu halten gilt. Weitere Verbesserungen beim Gewicht und beim Bewegungsspielraum, also im Tragekomfort, erwartet Dahmen schon mit der nächsten Gerätegeneration.
Grundsätzlich gilt: Man arbeitet bei BMW an weiteren Verbesserungen bei den Exoskeletten für den Ober- und Unterkörper – und prüft auch Einsatzszenarien für neuartige Exoskelette.
Auch Autohersteller Audi schreibt Exoskeletten einen großen Nutzen zu. So testeten Mitarbeiter ein Exoskelett von Laevo in den Werken Ingolstadt und Neckarsulm. Die Hebehilfe wird am Körper getragen und wiegt rund drei Kilogramm. Ein Metallrahmen mit Teilen an Oberkörper, unterem Rückenbereich und Oberschenkeln ist mit einer Stützstruktur verbunden.
Zum Anlegen zieht der Mitarbeiter das Exoskelett im ersten Schritt wie einen Pullover über den Kopf und schnallt es mit Gurten an der Hüfte fest. Dann platziert er zwei faustgroße Platten, die die Belastung entsprechend verteilen, auf seinen Oberschenkeln.
Exoskelette bringen Entlastung im Piloteinsatz bei Audi
„Im Rahmen des Piloteinsatzes nahmen alle unsere Probanden die erhoffte Entlastung des unteren Rückenbereichs dank des sogenannten Ergoskeletts wahr und bewerteten es als sehr positiv“, berichtet Dr. Vinzent Rudtsch, Logistikplaner und Projektleiter ‚Ergoskelett‘ bei der Audi AG. Die Entlastung wirkte umso stärker, je länger der Mitarbeiter dauerhaft in einer gebeugten Körperhaltung verharrte.
Dr. Vinzent Rudtsch, Projektleiter ‚Ergoskelett‘ bei der Audi AG
»Alle Probanden nehmen die erhoffte Entlastung des unteren Rückenbereichs dank Ergoskelett wahr.«
Bei hochdynamischen Arbeitsabläufen, also beim schnellen Aufnehmen und Absetzen einer Last, empfanden die Probanden bei Audi den Tragekomfort im Brustbereich als unangenehm, berichtet Rudtsch. „Diese Erkenntnis ist für uns, aber auch für den Hersteller eine wichtige Rückmeldung, damit er das Produkt entsprechend unserer Anforderungen optimieren kann“, sagt der Exoskelett-Spezialist.
Eine weitere Herausforderung sehe man bei dem Autohersteller in einer möglichst intuitiven Anpassung der Geräte an die individuellen Körpermaße der Mitarbeiter. „Sie nahmen die Gebrauchstauglichkeit beim An- und Ablegen sehr positiv wahr, jedoch war für die erstmalige Anpassung des Geräts eine qualifizierte Fachkraft erforderlich“, erläutert der Projektleiter.
Inzwischen hat der Autohersteller den Pilotbetrieb erfolgreich abgeschlossen. „Wir konnten bereits eine Reihe von Arbeitsplätzen identifizieren, für die der Einsatz eines Ergoskeletts infrage kommt – zum Beispiel beim Einbau der Mittelkonsole im Auto“, freut sich Rudtsch. Mit zunehmender Reife kommender Produktgenerationen erwarte er eine Vielzahl weiterer geeigneter Arbeitsplätze.
Schmalz arbeitet ebenfalls an einem Exoskelett
Noch im Prototypenstadium befindet sich das Exoskelett von Schmalz. Langfristiges Ziel ist die Entwicklung einer Maschine mit einer intuitiven Steuerung, bei dem der Nutzer die Unterstützungsgrade individuell einstellen kann. Die Hebehilfe soll für die Mitarbeiter mehr Mobilität und höhere Arbeitsgeschwindigkeit bei geringerer körperlicher Belastung bringen. Neben der Kinematik stellt das Projekt große Herausforderungen an die Konstruktion. Am
Körper getragene Systeme müssen leicht sein sowie schnell an- und ausgezogen werden können. Darüber hinaus sollen sie dem Mitarbeiter maximale Bewegungsfreiheit ermöglichen.
Schmalz hat seinen Prototypen zunächst für die passive Beinunterstützung entwickelt, die in Kombination mit den Vakuum-Schlauchhebern greift. Eine Oberkörperanbindung sorgt für ergonomische Haltung und Entlastung bei langem Stehen. Nächster Entwicklungsschritt ist die komplette Entlastung bei wiederkehrenden Arbeiten in tiefen Positionen, „Aktuell ist Schmalz in guten Gesprächen mit möglichen Entwicklungspartnern“, teilt der Pressesprecher mit.
Eines haben die auf dem Markt erhältlichen Exoskelette somit gemeinsam: Sie sollen die Beschäftigten in der Industrie entlasten und somit krankheitsbedingte Fehlzeiten reduzieren.