Was genau ist Werkzeugmaschinenbau?
Der Werkzeugmaschinenbau ist eine Teilbranche des Maschinen- und Anlagenbaus und in Deutschland eine der wichtigsten und stärksten Industriebranchen. Im klassischen Werkzeugmaschinenbau werden Investitionsgüter für die metallbearbeitende Industrie hergestellt. Mit einem Anteil von fast 50 Prozent ist die Automobilindustrie die wichtigste Abnehmerbranche.
Schon wieder ein Beitrag zur Elektromobilität? Dazu ist doch längst alles gesagt und geschrieben worden! Stimmt, aber in diesem Fall wollen wir einer speziellen Frage nachgehen: Etwa jede zweite in Deutschland gebaute Werkzeugmaschine geht in die Automobilindustrie. Welche Auswirkungen hat ein wahrscheinlicher Siegeszug also für die deutsche Werkzeugmaschinenindustrie?
Besonders betroffen wären davon die Hersteller von Werkzeugmaschinen, die sich auf die Bearbeitungsanlagen für den Antriebsstrang von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor spezialisiert haben. Der Grund: Ein Elektromotor in der Automobilindustrie besteht aus deutlich weniger Bauteilen und kommt zumindest beim Direktantrieb ohne Schaltung und Getriebe aus. Wir haben die davon besonders betroffenen Werkzeugmaschinenhersteller dazu befragt.
Grob-Werke besonders betroffen
An erster Stelle sind dabei die Mindelheimer Grob-Werke zu nennen. Grob ist weltweit einer der größten Anbieter von Maschinen und Anlagen zur spanenden Bearbeitung von Bauteilen für den Antriebsstrang. Das Unternehmen arbeitet derzeit intensiv an einer Strategie, um auf sich auf den Elektroantrieb vorzubereiten.
Immerhin hat das Unternehmen seine Abhängigkeit von der Automobilindustrie durch den erfolgreichen Einstieg in das Universalmaschinengeschäft bereits etwas reduziert. Trotzdem war man immer ein zuverlässiger Partner der Automobilindustrie und wird das auch in Zeiten der Elektromobilität bleiben.
Erst jüngst hat Grob dazu mit dem italienischen Unternehmen DMG meccanica einen führenden Maschinen- und Anlagenbauer für Elektromotoren übernommen. Damit trägt man der Tatsache Rechnung, dass die Anfragen für Projekte mit Elektromotoren bereits jetzt enorm gestiegen sind.
Neue Möglichkeiten
Frühzeitig hat man eine eigenständige Entwicklungsabteilung für Komponenten und Maschinen zur Herstellung von Elektroantrieben aufgebaut. Heute arbeiten bereits über 25 Spezialisten und Entwicklungsingenieure in diesem Bereich der Metallbearbeitung. Sie haben in enger Zusammenarbeit mit namhaften Automobilherstellern die wesentlichen Komponenten ‚Elektromotor‘ und ‚Batteriemodul‘ in die Vorausentwicklung aufgenommen und die Vielzahl von Technologieprozessen für die Herstellung und Auslegung der Statoren analysiert und zur Weiterentwicklung gebracht.
Jetzt ist Grob sehr gezielt in der Lage, weitere größere Projekte als Generalunternehmer für die Fertigung des kompletten Antriebsstrangs für Hybrid- oder reine Elektroantriebe in Auftrag zu nehmen und Maschinen und Anlagen für Elektromotoren, Batteriemodul und Batteriepack wie auch Brennstoffzellen anzubieten und diese zukünftig prozesssicher für die Serienfertigung zu produzieren.
Video: Grob Fertigungslinie
Grob setzt auf Kompetenz in der Montagetechnik
Da Grob einer der wenigen Hersteller von Werkzeugmaschinen ist, der nicht nur im Bereich ‚Zerspanung‘, sondern auch in der ‚Montagetechnik‘ hohe Kompetenz besitzt, hat das Unternehmen außerdem seine Möglichkeiten im Bereich Elektrotechnik evaluiert und festgestellt, dass im Segment der Wickeltechnik eine sinnvolle Wertschöpfung für das Unternehmen liegt.
„Um professionell vorgehen zu können, wurde schnell klar, dass wir die Wickeltechnik entweder selber entwickeln oder entsprechende Technologien auf dem Markt zukaufen müssen“, erklärt German Wankmiller, Vorsitzender der Grob-Geschäftsführung, die Vorgehensweise. „Nach intensiven Gesprächen mit DMG meccanica hat sich schnell gezeigt, dass wir mit dem Turiner Maschinen- und Anlagenbauer den richtigen Partner gefunden hatten.“ Grob scheint mit diesen Maßnahmen also gut auf einen Siegeszug der Elektromobilität vorbereitet zu sein.
Heller verhält sich eher abwartend
Wettbewerber Heller ist etwas zurückhaltender: Geschäftsführer Manfred Maier weist darauf hin, dass die verschiedenen Antriebsarten der Zukunft in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden.
Auch aktuelle Studien und Untersuchungen würden unterschiedlichste Szenarien aufzeigen. Folglich sei es also noch nicht automatisch absehbar, ob und wann der Elektroantrieb den Durchbruch schaffen wird.
Maier verweist dazu auch auf Studien, die belegen, dass der Anteil von PKW und leichten Nutzfahrzeugen mit Verbrennungsmotor bis 2030 immer noch über 70 Prozent liegen wird. Hinzu komme noch die Sparte der schweren Pick-ups, Transporter und Lkw.
Video: Rennsportfelgen von einer Heller C
Breite Aufstellung bringt Sicherheit
Heller lässt sich also von den munteren und teilweise in der Öffentlichkeit überstürzt geführten Diskussionen nicht irritieren: „Solange die Unsicherheit der Szenarien hinsichtlich Eintritts- und Größenwahrscheinlichkeit überwiegt, ist eine nachhaltige Anpassung bestehender Geschäftsmodelle unserer Ansicht nach nur wenig zielführend“, so Manfred Maier.
Er betont, dass die Fahrzeugindustrie und deren Zulieferer eine bedeutende Kundengruppe ist und bleibe. Und selbstverständlich könnten auf einer Werkzeugmaschine von Heller auch Bauteile für Elektromotoren bearbeitet werden.
Was aber auch wichtig ist: Heller ist hinsichtlich der Kundenbranchen relativ breit aufgestellt. „Mit unserem umfassenden Produktspektrum sind wir auch kompetente Ansprechpartner für Unternehmen aus dem allgemeinen Maschinenbau, der Aerospace-Industrie sowie aus vielen weiteren Branchen“, so Manfred Maier.
DVS Technology: Weniger, aber anspruchsvollere Bauteile
Von einem eventuellen Siegeszug des Elektromotors besonders stark betroffen wäre die DVS Technology Group, die sich in den letzten Jahren auf Zerspanungstechnologien, also Bohren, Drehen oder Fräsen, für den Antriebsstrang spezialisiert hat. Dazu Vorstand und CSO Bernd Rothenberger: „Auf lange Sicht werden sicherlich viele Bauteile vor allem im Bereich des Verbrennungsmotors wegfallen.“
Bei Fahrzeuggetrieben sieht er dagegen eher eine Reduktion der Gesamtzahl an Teilen pro Fahrzeug. Diese Teile würden also für die Werkzeugmaschine nicht wegfallen, sondern künftig von der Industrie in geringeren Stückzahlen produziert. Gleichzeitig werde aber auch der Anspruch der Kunden in Sachen Präzision weiter steigen.
Der Grund: Höhere Drehzahlen und steigende Übersetzungskräfte im Elektroantrieb erfordern den Einsatz noch präziser bearbeiteter Bauteile. Dazu komme, dass DVS auch für Fahrzeuge mit Elektroantrieb effiziente Lösungen in der Zerspanung anbiete.
Licon setzt auf flexible Werkzeugmaschinen
Ebenfalls eine hohe Kompetenz bei Werkzeugmaschinen zum Zerspanen von Bauteilen für den klassischen Antriebsstrang hat Licon. So werden Motorenteile wie Motorblöcke, Lagerrahmen und Zylinderhauben auf Maschinen des Laupheimer Unternehmers bearbeitet.
Mit Blick auf das typische Spektrum der Bauteile einer Werkzeugmaschine von Licon ist das Unternehmen aber nur zum Teil von Komponenten für Verbrennungsmotoren abhängig. Typisch sind nämlich auch Fahrwerksteile, Strukturbauteile und Lenkungsteile, und die werden in Elektroautos ebenso benötigt. Dazu kommt, dass Licon seinen Umsatzanteil in der Automobilindustrie 2017 auf unter 70 Prozent gesenkt hat.
„Dank der modularen Bauweise unserer LiFLEX-Bearbeitungszentren können wir sehr flexibel auf sich verändernde Marktbedingungen reagieren. Dazu gehört auch die Elektromobilität“, berichtet Vertriebsleiter Nils Baumgartner.
VDW-Geschäftsführer Dr. Wilfried Schäfer über das Thema Elektromobilität
Produktion: Von welchen Prognosen bezüglich der Marktdurchdringung der Elektromobilität geht der VDW momentan aus?
Dr. Wilfried Schäfer: "Hohe Dynamik für die kommenden zehn bis 15 Jahre prognostizieren derzeit alle großen internationalen Beratungsgesellschaften und Automobilforscher, die bisher Studien zur Elektromobilität vorgelegt haben. Wo die Reise tatsächlich hingehen wird und welche Folgen sie für unsere Branche hat, ist indes in letzter Konsequenz noch offen. Es sind längst nicht einmal die drängendsten Fragen geklärt.
Das betrifft zum einen die Zahlen: Wie hoch wird der Anteil reiner Elektrofahrzeuge künftig tatsächlich sein? Wie viel Zerspanungsvolumen wird dadurch wegfallen? Wie werden sich die Spanzeiten an höher integrierten Werkstücken beispielsweise in Hybridfahrzeugen verändern?
Nach Auffassung von Prof. Eberhard Abele, Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen an der TU Darmstadt, wird das dynamische Aufkommen von Hybridantrieben mit einer Spanzeiterhöhung in einer Größenordnung von 10 % verbunden sein. Begründet wird dies mit kleineren, aber höher integrierten Antrieben.
Fakt ist jedenfalls, dass es für eine längere Übergangszeit einen höheren Anteil an Hybridfahrzeugen geben wird. Ihr Komplexitätsgrad durch die Kombination von Verbrennungs- und Elektromotoren dürfte weiterhin hohe Spanvolumina erfordern.
Auch andere Aspekte im Hinblick auf den breiten Einsatz von Elektrofahrzeugen rufen Fragezeichen hervor: Wie wird der zusätzliche Strombedarf gedeckt, vor allem nachhaltig und ökonomisch im Sinne der Gesamtenergiebilanz? Wie schnell wird es gelingen, weltweit die benötigte Ladeinfrastruktur zu installieren?"
Drohen den Herstellern spanender Werkzeugmaschinen bei einem Siegeszug der Elektromobilität ernsthafte Absatzeinbrüche?
Schäfer: "Dies ist derzeit nicht absehbar. Neben den bereits beschriebenen Hinweisen kommen zwei weitere Aspekte hinzu. Zum einen geht das Gros der aktuell verfügbaren Untersuchungen davon aus, dass auch bis 2030 rund 80 % der neu zugelassenen Pkw, SUVs, Pick-ups und Lieferwagen kleineren Zuschnitts mit hybriden Antrieben, optimierten Verbrennungsmotoren und dem dazugehörigen Getriebe ausgestattet sein werden.
Zum anderen gehen die Experten davon aus, dass die Automobilproduktion zwischen 2016 und 2025 um mehr als ein Fünftel wachsen wird. Dies entschärft die Situation, denn hinzu kommen außerdem große Unterschiede in den regionalen Automobilmärkten bei der verfügbaren Infrastruktur. Lücken im Netz der Ladestationen können den Absatz von Elektrofahrzeugen ausbremsen."
Was raten Sie Ihren Mitgliedsunternehmen, um sich auf die Elektromobilität vorzubereiten?
Schäfer: "Firmen, die ihre Maschinen in die Automobilindustrie liefern, müssen sich folgende Fragen beantworten: In welchen Märkten ist mein Unternehmen automobil am stärksten engagiert? Beispielsweise im anspruchsvollen Westeuropa oder im (lade-)infrastrukturell schwachen Osteuropa, im Flächenmarkt USA mit großen Entfernungen im ländlichen Raum oder gar in Asien mit Mega-Citys und riesigen, oft nur schwach erschlossenen Landmassen im Hinterland?
Schließlich stellt sich die Frage, ob es Kompensationspotenziale gibt, wenn bestehende Anlagen anders oder breiter ausgelegt würden. Abhängig von den Antworten auf diese Fragen ist jedes Unternehmen gut beraten, seine Strategie zu entwickeln."
Gibt es bestimmte Arten spanender Werkzeugmaschinen, die sogar von der Elektromobilität profitieren könnten?
Schäfer: "Der beschriebene Ausbau der Hybridtechnologien könnte das Drehen stärker begünstigen als die Fräsbearbeitung, das Bohren und Schleifen. Belastbare Prognosen lassen sich dazu aber aktuell noch nicht treffen."
9. Deutscher Maschinenbau-Gipfel
Der Maschinenbau gilt als die Leitbranche und das Aushängeschild der deutschen Industrie. Doch auch die starke Branche bleibt von geopolitischen Ereignissen Protektionismus, Brexit oder länderübergreifenden Spannungen nicht unbehelligt.
Auf dem 9. Maschinenbau-Gipfel in Berlin erfahren Sie, was Branchen-Experten zu den Themen denken – und welche Tipps sie für Sie haben. Wir haben die Antworten auf Ihre Fragen.
Hier erfahren Sie mehr zum Maschinenbau-Gipfel und können sich anmelden.