In Asien wird erwartet, dass Fabriken bis 2040 ungefähr so aussehen: weitgehend mit KI-gestützten, selbstlernenden Maschinen und Robotern ausgestattet und von Menschen lediglich kontrolliert. Und was wird in Deutschland erwartet?

In Asien wird erwartet, dass Fabriken bis 2040 ungefähr so aussehen: weitgehend mit KI-gestützten, selbstlernenden Maschinen und Robotern ausgestattet und von Menschen lediglich kontrolliert. Und was wird in Deutschland erwartet? (Bild: anis rohayati - stock.adobe.com - KI-generiert)

Was versteht man unter Hyperautomatisierung?

Hyperautomatisierung beschreibt den Einsatz fortgeschrittener Technologien wie künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, robotergestützte Prozessautomatisierung (RPA), autonome mobile Roboter (AMR) sowie digitale Zwillinge, um sämtliche Abläufe in Produktionsstätten vollständig zu automatisieren – bis hin zu einer selbstoptimierenden Fabrik. Diese neue Ära der industriellen Fertigung geht weit über klassische Industrie-4.0-Initiativen hinaus. Während bisherige Automatisierung darauf abzielte, bestimmte Prozesse effizienter zu gestalten, fokussiert sich Hyperautomatisierung auf die komplette Transformation des Fabrikbetriebs – in Echtzeit, lernfähig und weitgehend ohne menschliches Eingreifen.

Dreh- und Angelpunkt dieser Entwicklung ist der Mensch in einer neuen Rolle: weniger als Ausführender, vielmehr als überwachender, steuernder und analysierender Organisator. Prozesse, Maschinen und Software kommunizieren miteinander, Produktionslinien passen sich dynamisch an und Entscheidungen werden datenbasiert getroffen – oft noch bevor Probleme entstehen. Das klingt nach Science-Fiction, ist aber für viele Unternehmen weltweit bereits Realität in Planung.

Wie stark treibt Asien die Automatisierung voran?

Die neue Accenture-Studie „Rethinking the course to manufacturing’s future“ bringt es auf den Punkt: Asien setzt Maßstäbe. Vor allem in Japan und China ist das Vertrauen in neue Technologien, die Bereitschaft zur Investition und der Mut zur radikalen Veränderung auffallend hoch. In Japan erwarten 74 Prozent der befragten Fabrikverantwortlichen, dass ihre Unternehmen bis 2040 überwiegend sogenannte „Dark Factories“ betreiben werden – vollständig automatisierte Produktionsanlagen, in denen kein Licht mehr für menschliche Arbeit benötigt wird. In China stimmen dem immerhin 53 Prozent zu.

Noch deutlicher wird der technologische Führungsanspruch beim Thema humanoide Roboter. Während in Japan 72 Prozent und in China 65 Prozent der Meinung sind, dass solche Roboter bis 2040 zum Standard in der Montage gehören werden, liegt dieser Wert in Deutschland bei mageren 23 Prozent. Europa insgesamt verharrt mit 21 Prozent ebenfalls im internationalen Vergleich auf einem niedrigen Niveau.

Diese Zahlen sind mehr als nur Indikatoren für Innovationsfreude. Sie zeigen eine klare strategische Ausrichtung auf eine neue industrielle Epoche, in der Software, Robotik und künstliche Intelligenz eine dominierende Rolle spielen. Wer jetzt investiert, baut sich Wettbewerbsvorteile von morgen – nicht irgendwann, sondern sehr konkret mit dem Blick auf 2040.

Warum zögert Europa – besonders Deutschland?

Trotz aller Visionen zeigen sich deutsche und europäische Fabrikleiter:innen bemerkenswert zurückhaltend. Bei allen abgefragten Technologien – von autonomen Prozessen über digitale Zwillinge bis zu vollautomatisierten Lagern – liegen die Zustimmungswerte deutlich unter dem weltweiten Durchschnitt. Während weltweit 53 Prozent autonome Betriebsabläufe als entscheidend für die Zukunft ansehen, sind es in Deutschland nur 40 Prozent, in Europa sogar nur 38 Prozent. Noch gravierender ist die Diskrepanz bei intelligenten Fertigungszellen, denen weltweit 49 Prozent Relevanz zusprechen – in Deutschland hingegen nur 27 Prozent.

Die Gründe für diese Skepsis sind vielfältig: Einerseits mangelt es an neuen Fabrikstandorten, die auf dem Reißbrett geplant und vollautomatisiert errichtet werden könnten. Bestehende Werke sind oft schwerer umzurüsten, erfordern individuelle Lösungen – und genau hier bremst die Komplexität. Andererseits scheint die kulturelle Haltung zur Automatisierung eine Rolle zu spielen. In Deutschland herrscht traditionell ein starkes Vertrauen in Ingenieurskunst, Präzision und Kontrolle. Hyperautomatisierung aber verlangt ein Stück weit Loslassen – und Vertrauen in die Technologie.

Welche Rolle spielt der Mensch in der Fabrik von morgen?

Kaum ein Aspekt wird im Kontext der Hyperautomatisierung so kontrovers diskutiert wie die Rolle des Menschen. Klar ist: Die Aufgaben der Mitarbeitenden verschieben sich massiv. Statt Maschinen direkt zu bedienen, wird die Überwachung, Analyse und Optimierung von Prozessen zur zentralen Aufgabe. Neue Rollen wie „Human-Robot Collaboration Manager“ oder „Autonomous Logistics Coordinator“ sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern absehbare Realität.

Dabei entsteht ein riesiger Qualifizierungsbedarf. 70 Prozent der weltweit befragten Fabrikleiter:innen sehen die Umgestaltung der Belegschaft als Schlüssel zur Transformation. In Deutschland liegt dieser Wert bei 53 Prozent. Was sich dahinter verbirgt, ist nicht nur technisches Know-how, sondern auch ein neues Mindset: Datenanalytik, Prozessverständnis und digitale Entscheidungsfindung werden zu Kernkompetenzen.

Allerdings steht diesem Wandel eine tief verwurzelte Angst entgegen – insbesondere vor Arbeitsplatzverlust. Weltweit äußern 46 Prozent der Befragten entsprechende Sorgen. In Deutschland liegt die Quote mit 40 Prozent etwas niedriger, doch der Widerstand gegen neue Rollenmodelle ist mit 46 Prozent hier sogar überdurchschnittlich stark. Die Folge: Ohne gezielte Schulungs- und Veränderungsprogramme droht die Transformation zu scheitern, bevor sie begonnen hat.

Was hindert die Umsetzung hyperautomatisierter Konzepte?

Ein zentraler Hemmschuh ist der Fachkräftemangel – insbesondere im Bereich KI. Weltweit geben 51 Prozent der Fabrikleiter:innen an, dass es an qualifizierten Mitarbeitenden mit entsprechenden Kompetenzen fehlt. In Deutschland sind es 46 Prozent. Doch nicht nur fehlende Expertise, auch Investitionshemmnisse bremsen die Entwicklung. Schulungsprogramme gelten für 48 Prozent der Befragten in Deutschland als größte Hürde – eine Zahl, die verdeutlicht, dass nicht nur Technologie, sondern auch Change Management zur Chefsache werden muss.

Ein weiteres Hindernis: fehlende digitale Grundlagen. Technologien wie das Industrial Internet of Things (IIoT) oder digitale Zwillinge stehen nicht überall ganz oben auf der Prioritätenliste – obwohl sie als digitale Basis moderner Fabriken gelten. In Europa ist der Handlungsdruck offenbar geringer ausgeprägt. Warum das so ist, lässt die Studie offen. Sicher ist jedoch: Ohne diese technologische Basis bleibt die Vision der vollvernetzten, hyperautomatisierten Fabrik ein theoretisches Konstrukt.

Wie lassen sich bestehende Werke für Hyperautomatisierung fit machen?

Gerade in Deutschland stellt sich die Frage, wie bestehende Produktionsstätten in das neue Zeitalter überführt werden können. Komplett neue „Greenfield“-Projekte wie in Asien sind hier seltener – gefragt sind Lösungen für die Transformation von „Brownfield“-Standorten. Erfolgsentscheidend ist die Integration neuer Systeme in bestehende Strukturen, beispielsweise durch modulare Automatisierungskonzepte, Retrofit-Lösungen oder hybride Betriebsmodelle.

Digitale Zwillinge können dabei eine Schlüsselrolle spielen. Sie ermöglichen die Simulation von Produktionsszenarien und Optimierungen, bevor reale Eingriffe stattfinden. Auch der Einsatz von Edge-Computing und flexiblen Cloud-Plattformen bietet Chancen, ohne bestehende Infrastrukturen komplett zu ersetzen.

Zukunftsweisende Unternehmen in Europa setzen deshalb verstärkt auf skalierbare, technologieoffene Plattformansätze, die sowohl Mensch als auch Maschine in eine neue Form der Zusammenarbeit überführen. Dabei geht es nicht nur um Effizienz – sondern um Resilienz, Flexibilität und Innovationsfähigkeit.

Wo liegen Chancen für europäische Unternehmen?

Trotz aller Zurückhaltung bietet der aktuelle Umbruch auch große Chancen. Wer es schafft, bestehende Stärken – etwa in Qualität, Nachhaltigkeit und Engineering – mit neuen Technologien zu verknüpfen, kann die Hyperautomatisierung im eigenen Tempo, aber mit maximaler Wirkung gestalten. Entscheidend wird sein, jetzt die Weichen zu stellen: mit gezielten Pilotprojekten, einem klaren Kompetenzaufbau und der Integration von KI-Systemen in die Wertschöpfung.

Die Transformation zur hyperautomatisierten Fabrik ist kein Sprint, sondern ein Marathon – aber einer, bei dem der Startschuss längst gefallen ist. Und wer zu spät losläuft, verliert nicht nur das Rennen, sondern möglicherweise den Anschluss an ganze Märkte.

Accenture - bearbeitet von Stefan Weinzierl

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