Der Maschinenbau ist das industrielle Rückgrat Deutschlands – doch der Wandel kommt. Industry Tech und ihre Startups entscheiden, ob 2035 Erfolg oder Abstieg bringt.
Sven Siering, Geschäftsführer vent.ioSven Siering, Geschäftsführervent.io
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Startups in der Industrie haben es schwer, sich am Markt zu etablieren. Ihre Ideen sind vielversprechend – von Robotik über smarte Steuerung bis Energiemanagement – doch Wachstum bleibt oft aus.(Bild: unikyluckk - stock.adobe.com)
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Deutschland ist stolz auf seinen Maschinenbau – zurecht. Er gilt als Rückgrat der Wirtschaft, sichert hunderttausende Arbeitsplätze und prägt ganze Regionen. Kein anderer Industriezweig verbindet Ingenieurskunst, Präzision und Exportstärke so eng. Der Maschinenbau steht für „Made in Germany“ – und hat über Jahrzehnte das Fundament unseres Wohlstands gelegt.
Doch der Schein trügt. Während Software-Startups in Rekordzeit skalieren, Millionen an Kapital einsammeln und global expandieren, stocken junge Unternehmen im Maschinenbau schon beim Markteintritt. Ideen für Robotik, Automatisierung, Energiemanagement oder smarte Steuerungssysteme gibt es reichlich. Doch sie schaffen es selten, zu großen, international sichtbaren Firmen heranzuwachsen.
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Die Gründe dafür sind vielfältig – und haben weniger mit mangelnder Kreativität zu tun, sondern mit Strukturen, Denkweisen und Rahmenbedingungen. Kapital, Kunden, Talente und Image – an fast allen Stellen klemmt es. Wenn wir diese Bremsklötze nicht lösen, droht der Industrie der Zukunftsverlust.
Stellen wir uns Deutschland im Jahr 2035 vor: Der Maschinenbau, einst Aushängeschild deutscher Industrie, steckt in einer Krise. Viele Betriebe haben es versäumt, ihre Produktionsprozesse zu digitalisieren. Startups, die einst mutige Lösungen für Robotik, Energiemanagement oder smarte Steuerungen entwickelten, sind verschwunden – oder wurden ins Ausland verkauft. Der Fachkräftemangel hat sich verschärft, und der Innovationsvorsprung ist an Asien und die USA übergegangen.
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So ein Szenario ist möglich. Aber es ist nicht unausweichlich. Denn noch heute gilt der deutsche Maschinenbau als globales Kraftzentrum. Nirgendwo sonst gibt es so viele „Hidden Champions“ und so viel Ingenieurskunst auf engstem Raum. Genau dieses Fundament könnte die Basis sein, damit Industry-Tech-Startups hierzulande groß werden. Wenn wir es schaffen, die Bremsklötze zu lösen.
Über den Autor: Sven Siering ist Geschäftsführer von vent.io, der Digitaltochter und Corporate Venture Capital-Einheit der Deutschen Leasing AG. Mit über 20 Jahren Erfahrung im Finanzdienstleistungssektor und breiter industrieübergreifender Expertise fokussiert er sich auf kundenzentrierte B2B-Geschäftsmodelle und treibt digitale Innovationen durch Startup-Kooperationen und Beteiligungen voran.
Die Weichenstellungen von heute
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Kapital – der falsche Takt
Startups im Maschinenbau brauchen Geduld, Investoren dagegen schnelle Renditen. Wer neue Maschinen, Robotik-Systeme oder Steuerungstechnik entwickelt, muss über Jahre testen, zertifizieren und optimieren. Qualitätssiegel, Normen und Zulassungsverfahren sind im B2B-Umfeld keine Schikane, sondern Überlebensnotwendigkeit. Doch sie kosten Zeit – und Zeit ist das, was klassisches Risikokapital nicht hat.
Fünf bis sieben Jahre bis zum Exit – das ist ein Horizont, der mit der Realität industrieller Innovation wenig zu tun hat. Deshalb fließt Kapital lieber in Software. Dort lassen sich Nutzerzahlen schneller skalieren und Geschäftsmodelle leichter global übertragen.
Wenn sich das nicht ändert, werden deutsche Industry-Tech-Ideen weiter in der Nische bleiben. Und das, obwohl der Markt für industrielle Innovationen gigantisch ist: Weltweit beträgt das jährliche Investitionsvolumen in neue Produktionsanlagen und Maschinen über 1,5 Billionen Euro.
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Was nötig wäre: Kapital, das länger atmet. Mischmodelle aus privatem Geld, Förderprogrammen und branchenspezifischen Finanzierungen wie Leasing könnten Brücken schlagen.
Kunden – der schwer zugängliche Mittelstand
Der Mittelstand ist die Stärke des deutschen Maschinenbaus – und gleichzeitig die größte Hürde für Startups. Mittelständische Unternehmen sind erfolgreich, aber auch vorsichtig. Sie investieren nur in Lösungen, die nachweislich funktionieren. Pilotprojekte dauern Monate oder Jahre, Budgets sind eng getaktet, Produktionsausfälle sind keine Option.
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Für Startups ist dieser Realitätsschock oft brutal. Sie brauchen nicht einen Kunden, sondern viele – und sie brauchen sie schnell. Doch statt großer Roll-outs bekommen sie kleinteilige Pilotaufträge, die kaum Umsatz bringen und vor allem Ressourcen fressen.
Die Lösung: ein anderes Modell der Zusammenarbeit. Startups und Maschinenbauer müssen Partner werden – nicht nur Kunde und Lieferant. Wenn Mittelständler den Mut haben, junge Unternehmen frühzeitig einzubinden, entstehen Innovationen, die skalierbar sind.
Talente – doppelt unter Druck
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Schon heute fehlen im Maschinenbau über 30.000 Ingenieur:innen. Bis 2035 könnten es über 200.000 sein. Die Lücke trifft Startups besonders hart. Denn während Konzerne mit attraktiven Gehältern, internationalen Standorten und sicheren Jobs locken, haben junge Unternehmen kaum etwas außer Vision und Eigenkapital zu bieten.
Das Ergebnis: Viele Talente wechseln lieber in die Softwarebranche oder gehen ins Ausland. Genau dort, wo ihre Fähigkeiten dringend gebraucht würden – in der Schnittstelle von Maschinenbau, Automatisierung und KI – fehlen sie dann.
Was zu tun ist: Deutschland braucht eine Ausbildungsoffensive. Hochschulen und Fachschulen müssen stärker auf Zukunftsthemen ausgerichtet werden. Programme, die Robotik, Automatisierung und digitale Fertigung in die Ausbildung integrieren, sind entscheidend. Ebenso duale Studiengänge, die Startups mit ins Boot holen.
Image – der Coolness-Faktor fehlt
Noch immer gilt Software als modern, Industrie als altmodisch. Das Bild vom Maschinenbau ist geprägt von Schraubenschlüsseln und Ölflecken – nicht von Robotik, Datenströmen oder KI. Diese Wahrnehmung prägt Investoren, junge Talente und sogar Gründer:innen selbst.
Dabei sind es gerade industrielle Innovationen, die den größten Unterschied machen. Sie reduzieren Ausfälle, senken Energiekosten, stabilisieren Lieferketten. Sie schaffen die Grundlagen, damit ganze Branchen wettbewerbsfähig bleiben.
Das Problem ist weniger die Realität, sondern die Wahrnehmung. Wir brauchen ein neues Narrativ. Industry Tech muss als das sichtbar werden, was es ist: die unterschätzte Revolution.
Das andere Szenario: 2035 als Erfolgsmodell
Nun drehen wir die Perspektive. Deutschland 2035, Maschinenbau 2.0. Industry-Tech-Startups haben sich etabliert – nicht, weil sie so schnell wachsen wie Software, sondern weil sie echte Produktivität bringen.
Robotik-Lösungen reduzieren den Fachkräftemangel, indem sie Tätigkeiten übernehmen, für die keine Menschen mehr zu finden sind. Energiemanagementsysteme sichern die Wettbewerbsfähigkeit, indem sie den Ressourcenverbrauch drastisch senken. Automatisierung macht Lieferketten resilienter, weil sie Unternehmen unabhängiger von Personalengpässen und geopolitischen Krisen macht.
Das Erfolgsrezept:
Kapital, das länger atmet – über Mischmodelle aus privatem Geld, Fördermitteln und Leasing.
Mittelständler, die Startups als Entwicklungspartner akzeptieren.
Nachwuchsprogramme, die Talente für Maschinenbau und Hightech begeistern.
Ein neues Narrativ, das zeigt: Industry Tech ist der Kern von Innovation, nicht ihr Anachronismus.
Fazit: Die Entscheidung fällt jetzt
Deutschland hat alles, was es braucht: Ingenieurwissen, starke Märkte, echten Bedarf. Doch die Frage ist, ob wir den Mut haben, die Strukturen anzupassen.
Die entscheidende Frage lautet nicht: Können Industry-Tech-Startups so schnell skalieren wie Softwareunternehmen? Die entscheidende Frage lautet: Können wir es uns leisten, dass sie es nicht tun?
Was versteht man unter Industry Tech? Industry Tech bezeichnet innovative Technologien an der Schnittstelle von Maschinenbau, Digitalisierung, Automatisierung und KI.
Warum haben Startups im Maschinenbau so große Hürden? Lange Entwicklungszeiten, komplexe Normen und vorsichtige Kunden erschweren schnelles Wachstum.
Was unterscheidet Industry-Tech-Startups von Software-Startups? Sie entwickeln physische Produkte mit höherem Zertifizierungs- und Integrationsaufwand, dafür aber großem Produktivitätshebel.
Wie kann der Fachkräftemangel gelöst werden? Durch Ausbildungsinitiativen, duale Studiengänge und Programme, die Industry Tech frühzeitig in den Fokus rücken.
Wieso ist Industry Tech entscheidend für 2035? Weil es hilft, Fachkräftemangel zu kompensieren, Ressourcen zu sparen und industrielle Souveränität zu sichern.
Was müsste sich am Kapitalmarkt ändern? Mehr Geduld, neue Finanzierungsmodelle und gezielte Förderung für Hardware-nahe, industrielle Innovationen.