Autor Dr. Andreas Dankl ist Gründungsmitglied sowie aktueller Geschäftsführer des Branchennetzwerks MFA Maintenance and Facility Management Society of Austria, das sich dem Wissens- und Erfahrungsaustausch in der Instandhaltungs-Branche verschrieben hat. Außerdem ist er Gründer und Geschäftsführer der Beratungsunternehmen Dankl+Partner Consulting | MCP Deutschland GmbH mit den Schwerpunkten Instandhaltung, Asset und Facility Management.
Digitalisierung in der Instandhaltung ist in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus geraten. Die klassischen Forderungen an Instandhaltung kennen wir alle: Höchste Verfügbarkeits- und Zuverlässigkeitsziele für Anlagen, Erhaltung der Anlagensubstanz, die Einhaltung der gesetzlichen Richtlinien und "höchste" Wirtschaftlichkeit. Diese Vorgaben haben sich durch COVID-19 in manchen Branchen zwar temporär in Richtung Kostensenkung verschoben, aber nicht grundsätzlich verändert.
Die Pandemie hat aufgezeigt, dass der Einsatz von "Digitalisierungs-Lösungen" einen zentralen Erfolgsfaktor für Anlagenbetrieb und Instandhaltung darstellt. Zu diesen Digitalisierungs-Lösungen zählen unter anderem der Zugriff auf integrierte Produktions-, Anlagen und Instandhaltungsdaten, Auto-ID-Techniken kombiniert mit Mobilgeräten für Remote-Support, einfacher Zugriff auf Daten zum Produktionsprozess und über den Anlagenzustand oder die transparente Bereitstellung von Kennzahlen, digitalen Dokumenten und Wissensbeständen.
In den vergangenen Monaten mussten viele Unternehmen ihre Instandhaltungs-Organisation sehr zeit- und kostenaufwendig an die coronabedingten Rahmenbedingungen anpassen. Hier haben sich klare Wirtschaftlichkeits- und somit Wettbewerbsvorteile jener Betriebe herauskristallisiert, die sich frühzeitig mit der Digitalisierung in Instandhaltung und im Asset Management (Anlagenwirtschaft) beschäftigt haben. Insbesonders datenbasierend optimierte Instandhaltungsstrategien für Anlagen und durchgängig digitalisierte Instandhaltungs-Prozesse haben hier maßgeblich zu Kosten- beziehungsweise Wirtschaftlichkeitsvorteilen geführt.
Studien von MCP International zeigen deutlich, dass bei den Prozessen für Instandhaltung und Anlagenwirtschaft in den meisten Betrieben noch sehr große Optimierungspotenziale vorhanden sind. Durch Steigerung des Planungsgrades und Senkung von Verlustzeiten des Instandhaltungspersonals (zum Beispiel vermeidbare Wegzeiten, Suchzeiten für Ersatzteile und Dokumente, Warten auf fachliche Unterstützung oder auf die Übergabe von Anlagen für terminlich geplante W&I-Maßnahmen) sind Produktivitätssteigerungen beim operativen Instandhaltungspersonal bis zu 25 Prozent möglich; das heißt jede vierte Arbeitsstunde des kostbaren Fachpersonals könnte wertschöpfend besser genutzt werden. Typische Ursachen der bestehenden Ineffizienzen sind bspw. mangelhaft definierte Prozessschritte und Schnittstellen, unzureichend integrierte Datenbestände und IT-Systeme sowie ein unstrukturierter bzw. fehlender Einsatz von digitalen Lösungen.
In den letzten Jahren wurden sehr attraktive Digitalisierungs-Lösungen zur Marktreife gebracht. Man denke beispielsweise an Datenbrillen und Smartwatches für Remote-Service-Einsätze und natürlich auch für klassische Inspektions- und Reparaturmaßnahmen. Die Mobilgeräte sind mittlerweile in einem breiten Spektrum von vielen Anbietern beziehbar, verfügen über eine sehr praxistaugliche Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit, sind zum Teil sogar Ex-Zonen-tauglich und mittlerweile auch preiswert. Die gleiche Entwicklung ist auch bei anderen Digitalisierungs-Lösungen zu beobachten: von Smartphones und Tablets über Datenhandschuhe und intelligenter Arbeitskleidung bis zu Drohen und Exoskeletten.
Also sollte davon ausgegangen werden können, dass bereits die meisten Instandhaltungs-Organisationen digitale Werkzeuge einsetzen und von diesen profitieren sollten.
Der Blick in die Unternehmen zeigt aber, dass es hier noch viel Luft nach oben gibt. Zwar werden viele Werkzeuge und Ansätze beworben, deren flächendeckende Anwendung in den Betrieben entspricht aber nicht den bestehenden Möglichkeiten.
Warum ist das so?
Oft werden in den Unternehmen von unterschiedlichen Funktionen "isolierte" Digitalisierungsinitiativen mit viel Energie vorangetrieben, denen aber meist der "große Rahmen", eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie, fehlt. Dann sind diese Initiativen sehr oft nur auf bestimmte Aufgaben- oder Betriebsbereiche beschränkt.
Beispielsweise werden im Ersatzteillager Mobilgeräte für das Ein-/Auslagern der Ersatzteile eingesetzt – aber nicht in den Instandhaltungs-Prozessen und für das Handling von Wechselelementen. Oft sind "alte" negative Erfahrungen mit ungeeigneten Digitalisierungs-Lösungen und die Unkenntnis des aktuellen Marktangebotes die Ursache für deren Ablehnung.
Die fehlende Marktkenntnis ist generell ein wichtiger Faktor, weil dadurch bei Führungskräften oftmals die Anwendungsmöglichkeiten und Kosteneffekte der Digitalisierungs-Lösungen nicht erkannt und Investitionen gegenüber dem Betriebsmanagement unzureichend argumentiert werden können. Der wichtigste Aspekt bezüglich des nach wie vor unzureichenden Einsatzes von Digitalisierungs-Lösungen liegt aber darin, dass zur effektiven Digitalisierung in der Instandhaltung eine Reihe von organisatorischen Voraussetzungen vorhanden sein müssen; dazu zählen unter anderem verbindliche Regeln für Prozesse und Schnittstellen, geeignete Anlagenstrukturierung und Kennzeichnung von Anlagen- und Ersatzteilen oder verfügbare Daten- und Dokumentenbestände mit bedarfsgerechter Vollständigkeit und Aktualität. Und zu diesen organisatorischen Voraussetzungen zählt natürlich auch die Bereitschaft der Mitarbeiter dazu, sich auf neue Arbeitsweisen und Tools einzulassen.
Bilderstrecke: 7 Schritte zum digitalen Service- und Instandhaltungsprozess
Doch wie nützt man nun die Power neuer Digitalisierungs-Anwendungen? Wie gelangt man zu effizienten, digitalen Prozessen? Aufbauend auf Erfahrungen aus vielen Optimierungsprojekten zu Instandhaltungs-Prozessen empfehlen wir folgende drei praxisorientierte Schritte:
- Es braucht klar definierte Prozesse/-schritte und Organisationsregeln; das betrifft zum Beispiel Regeln zu Meldungsprioritäten, Reaktionszeiten für Sofortmaßnahmen oder Vorgaben zu Mindestinhalten der Rückmeldungen aber auch klare Zuordnung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten an den Schnittstellen zwischen Produktion und Instandhaltung. Schwammig definierte, nicht gelebte Prozesse 'einfach' zu digitalisieren, bringt keinen Mehrwert. Die Praxis zeigt - zu Beginn lohnt sich der kritische Blick auf die gelebten Prozesse.
- Integrieren Sie alle relevanten IT-Systeme und Dokumentenbestände: Zentrales Element ist eine Software für Instandhaltung und Anlagenwirtschaft (IPSA-/CMM-Systeme) mit bedarfsgerechter Funktionalität, Benutzerfreundlichkeit und Systemtechnologie, die eine Anbindung an das bestehende ERP-System sowie die Einbindung der IH-relevanten Daten- und Dokumentenbestände ermöglicht. Diese Forderungen können mittlerweile die Hälfte der etwa 90 im DACH-Raum angebotenen IPSA-/CMM-Systeme erfüllen. Dieser Schritt sollte strukturiert bearbeitet werden; holen Sie sich externe Erfahrungen ein!
- Binden Sie geeignete Digitalisierungs-Lösungen in Ihre Organisation ein und verknüpfen Sie die relevanten Datenbestände: Durch Anwendung von Mobilgeräten und Auto-ID-Techniken sowie der Integration von Daten aus beispielsweise. MES, PLS und Condition Monitoring-Techniken können in Echtzeit die "richtigen" Entscheidungen und Maßnahmen abgeleitet werden - unterstützt durch digitale Workflows. Entscheiden Sie sich für wirtschaftlich sinnvolle Einsatzbereiche. Nicht jede 'fancy App' liefert tatsächlichen Mehrwert. Seien Sie kritisch!
Die Verbesserung der Prozesse für Instandhaltung und Anlagenwirtschaft durch Digitalisierungs-Anwendungen birgt ein großes Effizienzpotenzial und kann langfristig Wirtschaftlichkeitsvorteile bringen. Auch für die Motivation (junger) Mitarbeiter sind entsprechende Digitalisierungs-Anwendungen längst ein "Must have" vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels am Arbeitsmarkt. Der entscheidende Erfolgsfaktor liegt darin, die für Ihren Bereich tatsächlich relevanten Digitalisierungsanwendungen systematisch zu identifizieren und in der richtigen Reihenfolge (Entwicklungsstufen) umzusetzen.