Über die Vier-Tage-Woche wird derzeit viel diskutiert.

Über die Vier-Tage-Woche wird derzeit viel diskutiert. (Bild: Andrea Gaitanides - stock.adobe.com)

Weniger arbeiten für das gleiche Geld: Die verkürzte Arbeitswoche ist umstritten. Lediglich elf Prozent der Unternehmen in Deutschland bieten eine Vier-Tage-Woche an. Das geht aus einer neuen Ifo-Umfrage hervor. Allerdings verzichten mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden dafür auf einen Teil des Gehalts. 39 Prozent leisten ihre volle wöchentliche Arbeitszeit in vier statt bisher fünf Tagen. Nur zehn Prozent können ihre Arbeitszeit bei vollem Lohn verringern.

Aus der Umfrage des Ifo-Instituts gehen mehrere Gründe dafür hervor: Die befragten Firmen befürchten, dass der Fachkräftemangel (61 Prozent) und der organisatorische Aufwand (52 Prozent) durch die verkürzte Arbeitszeit zunimmt und dass es Einkommensverluste für die gesamte Wirtschaft geben wird (40 Prozent).

Doch wie sieht es in der Praxis aus? Das weiß Viktoria Schütz, Geschäftsführerin von Deguma. Der mittelständische Maschinenbauer ist auf Gummi- und Kunststoffverarbeitungsmaschinen spezialisiert und hat die Vier-Tage-Woche fest eingeführt (wir berichteten) – und das bei vollem Lohnausgleich.

Expertinnentalk zur Vier-Tage-Woche

Einführung der Vier-Tage-Woche: Die Rahmenbedingungen

Für die verkürzte Arbeitswoche hat Deguma die Arbeitszeit von 40 auf 34 Stunden pro Woche reduziert. Das heißt, die Beschäftigten arbeiten 8,5 Stunden pro Tag. Die Arbeitszeit der Teilzeitkräfte wurde ebenfalls um 15 Prozent reduziert.

Eine Ausnahme gibt es bei den Service-Kräften: Sie sind weiter fünf Tage in der Woche bei den Kunden vor Ort, holen den freien Tag aber nach, so Schütz.

Vor Einführung der Vier-Tage-Woche hat das Unternehmen das neue Arbeitsmodell drei Jahre lang entwickelt und immer wieder angepasst, berichtet sie. Diese Phasen durchlief Deguma dabei:

  • Zunächst hat sich Schütz zusammen mit ihrer anderen Geschäftsführerin Daniela Dingfelder um die Unternehmenskultur gekümmert. Mehr dazu erfahren Sie in der Podcast-Folge mit Viktoria Schütz und Daniela Dingfelder. Hier klicken!
  • Im nächsten Schritt wurden die Prozesse im Unternehmen analysiert und dokumentiert. Dazu gab es unter anderem Workshops in den einzelnen Teams. Kennzahlen waren dabei zum Beispiel Umsatz, Krankentage und Produktivität.
  • Aufbauend darauf hat sich Deguma überlegt, wie die Vier-Tage-Woche am besten organisiert werden kann.
  • Anschließend wurde die Vier-Tage-Woche zunächst ein Jahr getestet, dabei monitort und immer wieder nachgebessert.

Vier-Tage-Woche: Das waren die Herausforderungen bei Deguma

Denn natürlich musste sich das neue Arbeitsmodell bei den 50 Mitarbeitenden erst einmal einspielen, es gab viele Herausforderungen und auch Schütz hat sich gefragt „Was mache ich da? Klappt das auch wirklich alles?“.

Wie wichtig Kommunikation und Vorbereitung ist, zeigt auch ein Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche, an dem derzeit 45 Organisation teilnehmen. „Man denkt, es geht dabei vor allem um den Arbeitsprozess und die Arbeitsweise, aber es geht auch darum, wie man das Team in diesem Veränderungsprozess führt. Manche Mitarbeiter stehen dem offener gegenüber als andere“, sagte Carsten Meier von der Unternehmensberatung Intraprenör der Deutschen Presse-Agentur.

Deguma hatte sich zunächst drauf geeinigt, dass der freie Tag auf Montag und Freitag verteilt wird, berichtet die Geschäftsführerin. Ein Teil der Belegschaft sollte den Freitag frei haben, ein anderer den Montag. Dadurch sollte die Erreichbarkeit der Kunden an allen Werktagen gewährleistet sein.

In der Praxis hat das vor allem in der Produktion zu Problemen geführt. Nach drei Monaten habe man deshalb beschlossen, dass alle Beschäftigten in der Fertigung am Freitag frei haben, erzählt Schütz. Die Folge: „Die Teamarbeit an den Maschinen hat wieder besser funktioniert.“ Dadurch, dass nun Freitags die Produktion stillstehe, spare man auch Kosten, erklärt sie weiter.

Inzwischen arbeiten fast alle Beschäftigten von Montag bis Donnerstag. Lediglich die Logistik und der Vertrieb sind am Freitag noch besetzt.

Eine weitere Herausforderung waren die Übergaben, die zunächst nicht so funktioniert haben, wie geplant. Inzwischen habe man sich da aber verbessert, alle haben sich daran gewöhnt, wer wann erreichbar ist, so Schütz.

Auch die Abläufe haben im Laufe der Zeit immer besser funktioniert.

Führt die Vier-Tage-Woche zu weniger Umsatz?

Nach der einjährigen Testphase hat Deguma die Vier-Tage-Woche inzwischen als verpflichtendes Arbeitsmodell eingeführt. Während andere Unternehmen viele Zweifel haben, sieht Schütz viele Vorteile.

Siemens-Personalchefin Judith Wiese hält die Debatte über eine Vier-Tage-Woche zum Beispiel für heikel. „Eine Diskussion über kürzere Arbeitszeiten können wir uns volkswirtschaftlich ganz klar nicht leisten“, sagte sie im Mai der ‚Süddeutschen Zeitung‘. Denn Deutschland altere schnell und es fehlten Fachkräfte.

„Um zum Beispiel eine Verkürzung von 40 auf 32 Wochenstunden wirtschaftlich tragfähig zu gestalten, benötigen wir eigentlich einen Produktivitätszuwachs von 25 Prozent pro Arbeitsstunde“, meint Oliver Stettes, Arbeitswelt-Experte beim Institut der deutschen Wirtschaft.

Schütz hält dagegen: „Wir werden nicht mehr Umsatz machen, nur weil wir wieder fünf Tage pro Woche arbeiten“, sagt sie in einem Webinar. Weniger Umsatz sei vielmehr ein volkswirtschaftliches Thema.  Schütz betont, bei Deguma sei der Umsatz nicht aufgrund eines Arbeitstages weniger zurückgegangen. Ebenfalls nicht zurückgegangen ist die Kundenzufriedenheit.

Eine weitere Erkenntnis aus der Testphase: Die Krankentage bei Deguma sind um ein Drittel zurückgegangen. „Wenn ich eine sehr hohe Krankenquote habe und berechtigt glauben kann, dass die runtergeht, wenn ich eine Arbeitszeitverkürzung mache, dann ist das natürlich ein Gegenfinanzierungselement“, sagt Arbeitszeitexperte Guido Zander in einem Interview mit dem ‚SWR‘.

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(Bild: mi-connect)

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Vier-Tage-Woche hilft bei Suche nach Fachkräften

Nach Einschätzung von Arbeitswelt-Experte Stettes kann durch kürzere Arbeitszeiten außerdem die Attraktivität bei Bewerberinnen und Bewerbern gesteigert werden. Das sieht auch Schütz so. Die Vier-Tage-Woche habe geholfen, in der Region bekannt zu werden. „Wir wurden zum Thema in privaten Gesprächen“, berichtet sie. Durch die Vier-Tage-Woche gebe es zudem eine höhere Wechselbarriere: Denn wer bei Deguma kündigt und in einem neuen Unternehmen anfängt, muss derzeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zurück in die Fünf-Tage-Woche.

Das Thema Attraktivität war auch für den Wohnwagen- und Wohnmobilhersteller Knaus Tabbert einer der Gründe für die Vier-Tage-Woche. Das Unternehmen kämpfe wie viele andere auch um Fachkräfte, sagte Firmensprecher Stefan Diehl der dpa zufolge. „Wir wollen uns als moderner und attraktiver Arbeitgeber präsentieren.“ Ein weiterer Grund: Die schon angesprochene Kosteneinsparung, zum Beispiel beim Strom, wenn freitags die Bänder stillstehen.

Von „signifikat mehr Bewerbungen“ bei gleichbleibender Qualität haben einige Unternehmen des schon angesprochenen Pilotprojekts berichtet.

Weitere Vorteile der Vier-Tage-Woche

Auch für Digitalisierungsprozesse kann die Veränderung der Arbeitszeiten vorteilhaft sein, zeigt das Pilotprojekt. „Da geht es auch um das Motto ‚Endlich mal umsetzen‘. Wir haben von Unternehmen gehört, dass sie lange geplante digitale Lösungen jetzt auch eingeführt haben, um für das Projekt die Prozesse anzupassen“, sagte Carsten Meier von Intraprenör.

Als weiteren Vorteil für die Beschäftigten sieht Schütz die Benzinkosten der Beschäftigten, die sich durch die Kürzung der Arbeitswoche natürlich auch reduzieren.

Wichtige Punkte sind für Schütz zudem, dass die Stimmung im Unternehmen durch die Vier-Tage-Woche positiver und das Team ausgeglichener ist.

Damit die Vier-Tage-Woche aber gelingt ist Schütz zufolge wichtig, dass die Prozesse auf das neue Arbeitsmodell ausgerichtet werden. Außerdem habe sich bei einem anderen Unternehmen, dass die Vier-Tage-Woche ebenfalls getestet hat, gezeigt, dass Freiwilligkeit nicht funktioniert. In der Firma sei der Chef bei der verkürzten Arbeitszeit nicht mitgegangen und das Projekt sei gescheitert, so Schütz.

Anja Ringel
(Bild: Anna McMaster)

Die Autorin: Anja Ringel

Dass sie Redakteurin werden will, wusste Anja Ringel schon zu Schulzeiten. Als Chefredakteurin ihrer Schülerzeitung hat sie Lehrkräfte und Schüler interviewt, das Mensaessen getestet und ist Fragen wie "Wieso hat Wasser ein Mindesthaltbarkeitsdatum" nachgegangen.

Nach Stationen bei diversen Tagezeitungen schaut sie bei "Produktion" nun den Unternehmen auf die Finger oder besser gesagt auf die Bilanzen. Als Wirtschaftsredakteurin kümmert sie sich aber auch um Themen wie Fachkräftemangel, Diversity, Digitalisierung oder Unternehmenskultur. Daneben ist sie einer der Podcast-Hosts von Industry Insights.

Privat liebt sie das Reisen und nutzt ihre Urlaube, um die Welt zu entdecken.

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