Ein Mann arbeitet an einem Auto.

Viele Autobauer mussten ihre Fahrzeuge zurück in die Werkstatt beordern. - (Bild: Adobe Stock/Tomasz Zajda)

Die Rückrufe der Automobilhersteller bewegen sich weiter auf sehr hohem Niveau. Nach Berechnungen des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach wurden auf dem Referenzmarkt USA im Gesamtjahr 2019 37,5 Millionen Fahrzeuge wegen Sicherheitsproblemen zurückgerufen. Im ersten Halbjahr 2020 waren es bereits über 17,45 Millionen Pkw (inklusive LCV).

Damit liegt die Rückrufquote, die die Zahl der zurückgerufenen Fahrzeuge an den Neuzulassungen des Jahres ausdrückt, mit 219 Prozent im Jahr 2019 (2018: 159 Prozent) beziehungsweise mit 266 Prozent im ersten Halbjahr 2020 wiederum ungewöhnlich hoch. In den letzten fünf Jahren (2014–2019) wurde ein Allzeit-Negativrekord von über 250 Millionen zurückgerufenen Fahrzeugen allein im Referenzmarkt USA erreicht, was einer durchschnittlichen Rückrufquote von 243 Prozent entspricht.

Es wurden mehr Autos zurückgerufen, als neu gekauft

Das heißt, es wurden nahezu zweieinhalb Mal mehr Fahrzeuge in die Werkstätten zurückbeordert als im gleichen Zeitraum als Neuwagen verkauft wurden. Ein Großteil der betroffenen zurückgerufenen Modelle bezieht sich entsprechend auf weiter zurückliegende Baujahre. Das sind die zentralen Ergebnisse der CAM Studie „Rückruf-Trends der globalen Automobilhersteller 2019/2020“.

Nach Herstellern weisen im Jahr 2019 Subaru (473 Prozent), Volkswagen (403 Prozent), Daimler (400 Prozent), Ford
(292 Prozent) und BMW (286 Prozent) die höchsten sicherheitstechnischen Rückrufquoten auf. Das heißt, die OEM müssen teilweise mehr als vier Mal mehr Fahrzeuge zurückrufen als diese im aktuellen Jahr verkaufen.

Bei der Rückrufmenge belegen die Negativ-Spitzenplätze Ford mit 7,01 Millionen, GM mit 6,35 Millionen sowie Fiat-Chrysler mit 4,90 Millionen zurückgerufenen Pkw. Die Mängel betreffen im Einzelfall sehr unterschiedliche sicherheitsrelevante Bauteile:

  • Bei Ford führte ein Defekt im 6-Gang-Automatikgetriebe des F-150 zu einem Rückruf von 1,26 Millionen Fahrzeugen, da das Getriebe bei jeder Geschwindigkeit unvermittelt in den ersten Gang schalten
    könnte.
  • Der größte Rückruf bei Subaru (1,30 Millionen Fahrzeuge) bezieht sich auf ein fehlerhaftes Bremslicht, gefolgt von einem Problem mit einem Motorsteuergerät (466.205 Fahrzeuge). Insgesamt musste der Hersteller in den USA nahezu 3,31 Mio. Fahrzeuge zurückrufen.
  • Bei den deutschen Herstellern Daimler, BMW und Volkswagen stiegen die Rückrufquoten in 2019 wieder deutlich an. So musste allein Daimler mit insgesamt 1,41 Millionen Fahrzeugen beinahe dreimal so viel Fahrzeuge in die Werkstatt beordern wie noch im Jahr zuvor. Bei BMW sorgten unter anderem defekte Airbags für einen Anstieg der Rückrufquote von 62 auf 286 Prozent. Insgesamt musste der Hersteller in den USA über eine Million Fahrzeuge in die Werkstatt beordern nach 221.000 Fahrzeugen im Vorjahr. Auch Volkswagen beorderte allein über 679.000 Fahrzeuge zurück, um einen Defekt zu beheben, der es ermöglicht den Schlüssel von der Zündung abzuziehen, wenn der Getriebeschalthebel nicht auf "Parken" steht.

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  • Bei FCA, GM und Volvo bewegt sich die Rückrufquote auf dem Durchschnittsniveau von 2019. GM musste im letzten Jahr über 6,3 Millionen Fahrzeuge zurückrufen, davon mehr als die Hälfte (3,5 Millionen) aufgrund einer defekten Vakuumpumpe.
  • Hyundai, Tesla und Mitsubishi schnitten dagegen sehr gut ab und wiesen relativ geringe Rückrufquoten auf.

Der Trend hoher Rückrufquoten setzt sich im Jahr 2020 unvermindert fort. Im ersten Halbjahr 2020 zählen Toyota (555 Prozent), Nissan (488 Prozent) und Honda (467 Prozent) sowie wiederum Ford (341 Prozent) und BMW (304 Prozent) zu den Herstellern mit den höchsten sicherheitstechnischen Rückrufquoten. Bei der Rückrufmenge belegen Toyota, Ford, Honda und Nissan die Negativ-Spitzenplätze, die zwischen 4,96 und 2,36 Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten beordern mussten:

  • Bei Toyota sorgt ein fehlerhaftes Steuergerät dafür, dass die Airbags und/oder Gurtstraffer im Falle eines Unfalls nicht ausgelöst werden. Hiervon betroffen waren fast 2,9 Millionen Fahrzeuge.
  • Bei Honda waren erneut Mängel bei den Airbags für den größten Rückruf (1,5 Millionen Fahrzeuge) verantwortlich, im ersten Halbjahr musste der Hersteller insgesamt 2,76 Millionen Fahrzeuge zurückrufen.
  • Bei Ford sorgten mangelhafte Türscharniere für einen wiederholten Rückruf von 2,12 Millionen Fahrzeugen. Insgesamt musste der Hersteller im ersten Halbjahr 2020 rund 3,23 Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten beordern.
  • Mit einer überdurchschnittlich hohen Rückrufquote von 304 Prozent landet BMW als einziger deutscher Herstellerim oberen Drittel. Hauptverantwortlich sind hier wieder mangelhafte Airbags.
  • Daimler und Volkswagen verbessern ihre Rückrufquoten im Vergleich zum Vorjahr: In den ersten sechs Monaten von 2020 liegen Daimler mit 98 Prozent und Volkswagen mit 82 Prozent unter dem Durchschnitt von 266 Prozent. Sehr geringe Rückrufquoten haben Mazda (57 Prozent), GM (19 Prozent), Tesla (17 Prozent) und Jaguar-Land Rover (acht Prozent).

Auf Branche lastet ein enormer Veränderungsdruck

Studienleiter Stefan Bratzel sagt in einer Pressemitteilung zu den Ergebnissen: "Die hohen Rückrufzahlen der letzten Jahre sind auch Kennzeichen des enormen Veränderungsdrucks, der auf der Branche lastet. Und die sicherheitstechnischen Rückrufe stellen dabei nur die Spitze des Eisbergs dar. Nicht selten gleicht die Produktherstellung mancher Automobilunternehmen einer „Bananenentwicklung“ an: Das Produkt reift erst beim Kunden. Das verärgert vielfach die Autokäufer und kann zu Personen- und Sachschäden führen. Außerdem kostet es die Hersteller mittel- und langfristig viel Geld und schadet ihrem Image."

Über 35 Prozent der sicherheitsrelevanten Produktmängel am Fahrzeug betrafen 2019 wiederum den Insassenschutz. Dafür verantwortlich waren jedoch nicht nur defekte Airbags des japanischen Zulieferers Takata. Vielmehr löste dieser Skandal eine Art Dominoeffekt aus, der zu einer grundsätzlichen Überprüfung der Insassenschutzeinrichtungen führte, die weitere Mängel zum Vorschein brachten.

Teilweise waren auch die Austauschairbags fehlerhaft und mussten erneut zurückgerufen werden. Im ersten Halbjahr 2020 setzte sich dieser Trend fort, da aktuell rund 40 Prozent der sicherheitsrelevanten Produktmängel am Fahrzeug dem Insassenschutz zuzuordnen sind. Im Jahr 2019 konnten 17,7 Prozent der Mängel der Elektrik/Elektronik zugeordnet werden (2020- erstes Halbjahr 14 Prozent). Auf Qualitätsmängel beim Antriebsstrang entfielen 13,9 Prozent der Rückrufe, während 4,4 Prozent der Lenkanlage, 3,4 Prozent der Karosserie, 15,5 Prozent der Bremsanlage und 4,2 Prozent dem Fahrwerk sowie 5,5 Prozent sonstigen Baugruppen zugeordnet werden konnten.

Gründe für Qualitätsprobleme und Folgerungen

Die Rückrufe in den Jahren 2019 und 2020 zeigen wiederum, dass die Produktqualität ein zentrales Thema in der Automobilindustrie bleibt. Wachsende Rückrufrisiken und steigende globale Sensibilität für Qualitätsmängel erfordern einen Paradigmenwechsel im Qualitätsmanagement der Automobilhersteller. Das Risiko großer Rückrufaktionen ist durch marken- und modellübergreifende Plattform- und Gleichteilestrategien sowie globale Produktionsnetzwerke erheblich gestiegen.

Gleichzeitig werden sicherheitsrelevante Mängel an Fahrzeugen in den wichtigen Automobilmärkten immer weniger akzeptiert, gerade auch weil Kunden über länderübergreifende Internet-Blogs und Newsgroups sehr gut informiert sind. Sicherheitsrelevante Mängel können zu Todesfällen und Verletzungen der Autofahrer führen und darüber hinaus den Herstellern Imageverluste und hohe Kosten verursachen.

Das Qualitätsmanagement vieler Automobilhersteller trägt vielfach noch nicht den neuen globalen Produktsicherheitsanforderungen Rechnung. Manche Hersteller und Zulieferer betreiben zur kurzfristigen Gewinnmaximierung eher reaktive Qualitätsmanagementsysteme mit nachsorgender Mängelbeseitigung, teilweise unter billigender Inkaufnahme von Unfällen wie im Fall der Airbagmängel. Vor dem Hintergrund veränderter Entwicklungs- und Produktionsbedingungen und neuen Technologien und Funktionen im Fahrzeug sind jedoch proaktive und vorsorgende Produktqualitätsstrategien notwendig, bei denen umfassende und langfristige Kosten-/ Nutzenbetrachtungen im Mittelpunkt stehen müssen.

So können viele Probleme behoben werden

Dazu erklärte Bratzel: "Das Qualitätsmanagement der Hersteller muss vor dem Hintergrund neuer technischer Anforderungen sowie einer wachsenden Sensibilität der Öffentlichkeit eine deutlich höhere Relevanz in Automobilunternehmen erlangen. So entsteht etwa künftig neuer Kundennutzen durch Elektromobilität, Vernetzung und (teil-)autonome Fahrfunktionen. Aber es steigen dadurch auch in erheblichem Maße die Risiken. Die Cyber-Security von Fahrzeugen wird insgesamt zum großen Sicherheits- und Qualitätsthema der Branche aufsteigen, das wesentlich über die Akzeptanz von neuen Wachstumsfeldern der Automobilindustrie entscheidet."

Der Studienleiter weiter: "Abhilfe können Over-the-Air-Updates der Fahrzeugfunktionen schaffen, da viele Probleme durch softwaretechnische Optimierungen behoben werden können. Derzeit beherrschen dies jedoch nur wenige Automobilhersteller. Gleichzeitig müssen künftig auch Behörden wie das Kraftfahrtbundesamt in Deutschland komplexere Kontrollaufgaben übernehmen und Verbraucher und Öffentlichkeit transparent informieren. Hier besteht noch erheblicher Handlungsbedarf."

Quelle: Center of Automotive Management

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