Mit Formgedächtnisdrähten aus Nickel-Titan bauen die Forscher kompakte technische Bauteile. Doktorand Carmelo Pirritano forscht an den neuartigen smarten Antrieben.

Mit Formgedächtnisdrähten aus Nickel-Titan bauen die Forscher kompakte technische Bauteile. Doktorand Carmelo Pirritano forscht an den neuartigen smarten Antrieben. (Bild: Oliver Dietze, Universität des Saarlandes)

Wo Elektromotoren oder -magnete in technischen Bauteilen zu groß oder zu schwer sind, können neuartige Antriebe helfen, Platz, Gewicht und Energie zu sparen. Diese Formgedächtnisantriebe kommen mit einem Durchmesser von 300 bis 400 Mikrometern aus, sind federleicht und energieeffizient. Künstliche Muskeln aus der Legierung Nickel-Titan machen kompakte technische Bauteile auf kleinstem, aber auch großem Raum möglich. Diese Technologie kann für verschiedenste Anwendungen vom neuartigen Kühlsystem über Robotergreifer bis hin zu Ventilen und Pumpen eingesetzt werden.

Antriebstechnik muss mit kleinstem Bauraum auskommen

Schließlich muss immer mehr Technik heute auf kleinem Raum unterkommen. Der Platz ist knapp in Auto, Flugzeug und in sonstigen Maschinen und Geräten. Das Ganze darf auch nicht zu schwer werden. Leichtere Verkehrsmittel etwa brauchen weniger Treibstoff, Batterien von E-Autos halten länger bei leichtem Gepäck.

Eine neuartige Technologie könnte künftig dabei helfen, durch kleinere und leichtere technische Bauteile nicht nur weniger Gewicht auf die Waage zu bringen, sondern zusätzlich auch weniger Energie zu verbrauchen. Das Forschungsteam der Professoren Stefan Seelecke und Paul Motzki entwickelt die neuen Bauteile an der Universität des Saarlandes und am Saarbrücker Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik Zema. Sie wollen diese zur Katalogware machen.

Antriebsstrang: Muskel aus Nickel-Titan höchste Energiedichte

Die Forschenden nutzen die Eigenschaften intelligenter Materialien, um den technischen Bauteilen künstliche Muskeln zu verleihen. Ihren Einsatz finden sie, wo immer sich etwas drehen soll oder Schalter auf kleinem Bauraum gebraucht werden. Sie bringen dabei Rotationsbewegungen, auch größere Drehmomente und Drehwinkel ebenso in Gang, wie es heutzutage nur Motoren, Hydraulik oder Druckluft können.

Die über Stromimpulse betriebenen Muskelstränge des Prototyps bestehen aus haarfeinen Drähten aus Nickel-Titan, die anspannen und entspannen können. Auf kleinstem Raum entfalten diese Formgedächtnisdrähte hohe Zugkraft. „Von allen bekannten Antriebsmechanismen haben die künstlichen Muskeln aus Nickel-Titan die höchste Energiedichte“, sagt Professor Stefan Seelecke.

Die Legierung Nickel-Titan hat ein Formgedächtnis

Die Drähte kontrahieren wie natürliche Muskeln, je nachdem ob Strom fließt oder nicht. „Die Legierung Nickel-Titan hat ein Formgedächtnis. Auf Kristallgitterebene besitzt sie zwei Phasen, die sich ineinander umwandeln lassen. Dadurch erinnert sie sich quasi an ihre jeweils andere Form und nimmt diese wieder an, wenn etwa die Temperatur sich ändert“, erklärt Stefan Seelecke.

Fließt Strom durch einen solchen Draht, erwärmt er sich und seine Kristallstruktur wandelt sich so um, dass er sich verkürzt. Wird der Strom abgeschaltet, kühlt er ab und wird lang wie zuvor. Sein Team bündelt die feinen Drähte wie echte Muskelfasern, die von Natur aus in Bündeln zusammengefasst sind. „Mehrere Drähte geben durch die größere Oberfläche mehr Wärme ab, dadurch erreichen wir schnelle Kontraktionen“, erklärt Professor Paul Motzki.

Zukunftstechnologien verstehen!

Die Technik entwickelt sich so schnell weiter wie noch nie. Neue Technologien halten ständig Einzug in unserem Leben. Natürlich heißt das nicht, dass alte Technologien verschwinden werden, aber die Relevanz wird sich verschieben. Welche Technologien und Konzepte wichtiger werden, was der aktuelle Stand ist und worin Chancen für die Industrie liegen, lesen Sie in unserer Rubrik "Zukunftstechnologien" - hier entlang!

 

Einen Überblick über die relevantesten Zukunftstechnologien und deren industrielle Einsatzmöglichkeiten hat unsere Redakteurin Julia Dusold in diesem Kompendium für Sie zusammengefasst: "Das sind die wichtigsten Zukunftstechnologien".

 

Drähte sind ohne Sensoren ansteuerbar

Wie eine Beuge- und Streckmuskulatur können die Forscher die Drähte ansteuern. Dabei kommen sie ohne zusätzliche Sensoren aus, was ebenfalls platz- und energiesparend ist. Die künstlichen Muskeln selbst dienen zugleich als Sensoren des Systems.

„Verformen sich die Drähte, ändert sich der elektrische Widerstand. Wir können jede Verformung des Drahts präzisen Messwerten zuordnen und können hierdurch sensorische Daten ablesen“, sagt Paul Motzki. Anhand der Messwerte können die Ingenieure schnelle und präzise Bewegungsabläufe der Drähte modellieren und programmieren.

Wissen, was die Industrie bewegt!

Newsletter-Produktion

Alles zu Industrie 4.0, Smart Manufacturing und die ganze Welt der Technik.

Newsletter gratis bestellen!

Steuerbaren künstlichen Muskeln bewegen Zahnrad

Mit diesen steuerbaren künstlichen Muskeln bauen die Forscher technische Bauteile modular auf und passen sie verschiedensten Anforderungen an. Um dabei zum Beispiel etwas in Drehung zu versetzen, lassen die Ingenieure die Drähte kontrahieren und so etwa an einem Zahnrad ziehen. Wie bei echten Muskeln nutzen sie dabei muskuläre Gegenspieler.

„Wir setzen die Formgedächtnisdrähte als Agonist und Antagonist, als Beuger und Strecker ein, sodass eine Rotation in beide Richtungen möglich ist. Ein Hebel übersetzt dabei die lineare Kontraktion in den entsprechenden Drehwinkel. Je kleiner dieser Hebel ist, desto höher ist der Winkel der Rotation“, erläutert Paul Motzki. „Hierbei kommt auch ein patentierter Zahnstangenmechanismus zum Einsatz, der die Linearbewegung in eine Rotation überführt“, ergänzt er.

Technologie ist skalierbar und verursacht keinen Lärm

Die Technologie ist skalierbar, mit ihr sind also auch größere technische Bauteile möglich. Anders als Elektromotoren, pneumatische oder hydraulische Maschinen verursacht das Verfahren keinen Lärm und kommt ohne zusätzliches Equipment wie Schläuche, Ventile, Pumpen oder Kompressoren und auch ohne seltene Erden aus.

Quelle: Universität des Saarlandes

Sie möchten gerne weiterlesen?