So verändert die digitale Fabrik Produktion und Planung
Vom virtuellen Zwilling bis zur KI – die Digitale Fabrik setzt neue Maßstäbe für Effizienz, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit in der Industrie. Ein Interview mit Kai Druglat, Delmia Senior Solution Architect bei Dassault Systèmes.
Maximilian FestusMaximilianFestus
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Vom virtuellen Zwilling bis zur KI – die Digitale Fabrik setzt neue Maßstäbe für Effizienz, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit in der Industrie.(Bild: Gorodenkoff - stock.adobe.com)
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Im Grußwort zum Fachkongresses ‚Digitale Fabrik‘ heißt es unter anderem ‚Wer nicht digitalisiert, der verliert.‘, können Sie dem zustimmen?
Kai Druglat: Die Digitalisierung ist in nahezu allen Branchen zum entscheidenden Faktor für Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz geworden. Sie trägt nicht nur dazu bei, bestehende Prozesse zu automatisieren und somit effizienter zu gestalten, sondern ermöglicht ein vollkommen neues Verständnis von Innovation. Unternehmen, die im Rahmen einer ganzheitlichen Digitalisierungsstrategie ihre Prozesse neu denken, Daten sinnvoll nutzen und somit flexibel im Markt agieren können, sind im internationalen Wettbewerb – mit all seinen Herausforderungen und derzeitigen Unsicherheiten – deutlich besser aufgestellt. Somit gilt: Wer nicht frühzeitig digitalisiert, riskiert, den Anschluss zu verlieren.
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Was macht eine digitale Fabrik aus?
Druglat: Die digitale Fabrik zeichnet sich dadurch aus, dass alle Komponenten miteinander vernetzt sind und kommunizieren können. Sowohl Maschinen und Werkzeuge, als auch Menschen sowie Ressourcen sind Teil eines virtuellen Modells, das die reale Fabrik abbildet. Das beginnt bereits bei der Fabrikplanung, in dem Fertigungslinien unter Berücksichtigung bestehender Parameter wie Abmessungen der Maschinen, Emissionen, Medienanschlüsse und Zugänglichkeit virtuell geplant und simuliert werden. In dieses bestehende virtuelle Modell wird dann später der eigentliche Fabrikbetrieb integriert – von den Produktdaten über die fertigungsrelevanten Stücklisten bis hin zu den Layoutinformationen inklusive der Logistikprozesse. Im Prinzip ist jeder Arbeitsschritt digitalisiert und im virtuellen Raum abgebildet.
Das verändert das Aufgabenprofil der Fachkräfte, da monotone Aufgaben, gerade in den Hochkostenländern, immer mehr durch Automatisierung ersetzt wird. Um diesen Trend umzusetzen, werden immer mehr Fachkräfte an den Werkzeugen der virtuellen Welt ausgebildet.
Für Kai Druglat, Dassault Systèmes, wird der Mensch auch in einer digitalen Fabrik essentiell sein.(Bild: Dassault Systèmes)
Welche Rolle spielt der Digitale Zwilling bei dem Thema?
Druglat: Virtuelle Zwillinge sind eine Schlüsseltechnologie, die in Zukunft in vielen Branchen zum Einsatz kommen wird. Die Basis dafür bilden Datenplattformen, wie beispielsweise die 3D Experience Plattform von Dassault Systèmes, die Informationen über Produkte, Prozessabläufe und Ressourcen innerhalb der digitalen Fabrik vereinen und somit ein virtuelles Pendant der realen Fabrik erschaffen. Virtuelle Zwillinge kommen somit nicht nur bei der Konstruktion eines Produkts zum Einsatz, sondern auch in der Planung einer Fertigungslinie, deren Inbetriebnahme oder zur Datenanalyse im Betrieb – beispielsweise im Bereich Predictive Maintenance.
Was sind die größten Unterschiede zwischen einer digitalen und einer gewöhnlichen Fabrik?
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Druglat: Der entscheidende Unterschied ist die Vernetzung von Informationen. Digitale Fabriken bestehen aus vernetzten Daten, deren Relationen die semantische Beziehung beschreiben und so das Wissen eines Unternehmens abbildet und als Entscheidungsgrundlage genutzt wird, während in gewöhnlichen Fabriken häufig auf Erfahrungswissen zurückgegriffen werden kann. Zudem ist die Mensch-Maschine-Interaktion in virtuellen Fabriken stärker ausgeprägt. Menschen arbeiten mit digitalen Assistenzsystemen und Augmented Reality.
Hinzu kommt, dass Daten kontinuierlich mittels Sensoren erfasst und in Echtzeit analysiert werden. Fehler und Qualitätsminderungen werden frühzeitig erkannt, was Ausfälle minimiert. In herkömmlichen Fabriken geschieht die Datenerfassung hingegen manuell und die Qualitätssicherung oft erst im letzten Prozessschritt. Insgesamt ist eine digitale Fabrik dadurch deutlich transparenter.
Kongress Digitale Fabrik
(Bild: Gorodenkoff - stock.adobe.com)
Auf dem Kongress "Digitale Fabrik" treffen sich jährlich Expertinnen und Experten der digitalen Produktions- und Fertigungsplanung zum intensiven und vor allem persönlichen Austausch.
Welche Technologien stehen für die Bereiche Entwicklung und Fertigung im Fokus?
Druglat: Für die Entwicklung und Fertigung sind virtuelle Zwillinge, KI und Cloud bereits heute wichtige Technologien – die im Zusammenspiel ihr volles Potenzial entfalten. Virtuelle Zwillinge basieren auf Datenplattformen, die wiederum idealerweise in der Cloud organisiert sind, sodass Mitarbeitende aus verschiedenen Unternehmensstandorten oder Abteilungen darauf zugreifen können. Künstliche Intelligenz fungiert als Innovationsbooster, die den Einsatz virtueller Zwillinge auf ein neues Level heben wird.
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Zum einen können virtuelle Zwillinge mit ihren umfassenden Modellen als Datengrundlage für die KI-Anwendung dienen oder dabei helfen, der KI bestimmte Abläufe in der virtuellen Test- und Simulationsphase beizubringen. Zum anderen verbessert künstliche Intelligenz die Genauigkeit und Effizienz virtueller Zwillinge, da reale, erfasste Daten mit KI-gestützten Vorhersagemodellen kombiniert werden. Simulationen werden somit noch realistischer sein.
Welche Branchen sind am weitesten und damit Vorreiter?
Druglat: KI-basierte virtuelle Zwillinge werden heute am häufigsten in der Industrie 4.0 und der Fertigung eingesetzt, insbesondere im Maschinenbau, in der Automobilindustrie und in der Luft- und Raumfahrt. Aber auch in der Medizin oder im Bereich Infrastruktur sind virtuelle Zwillinge verbreitet. Denkbar sind sie in nahezu allen Branchen. Viel entscheidender ist jedoch, dass Unternehmen in China oder den USA branchenübergreifend bereits heute häufiger auf Virtual-Twin-Technologie setzen. Hier muss Deutschland dringend aufholen.
Wie können bestehende ‚Old School‘-Fabriken in digitale übergeführt werden?
Druglat: Um bestehende Fabriken schrittweise zu digitalisieren und in smarte Fabriken zu überführen, gibt es zwei Ansätze. Beim Greenfield-Ansatz wird die Fabrik „von der grünen Wiese“ aus geplant, sprich komplett neu gebaut. Somit können sämtliche Merkmale, die eine digitale Fabrik ausmachen von Beginn an berücksichtigt werden, neueste Technologien eingesetzt und das Maximum an Effizienz herausgeholt werden. Der Nachteil sind extrem hohe Investitionskosten.
Der für viele Fabrikbetreiber attraktivere Brownfield-Ansatz zielt auf den Bestandsumbau. Demnach wird eine bestehende Fabrik nach und nach modernisiert. Dabei spielen 3D Scans eine immer wichtigere Rolle. Diese dienen als eine Schablone zum Nachbilden der Fabrik durch Modelle. In der realen Fabrik werden Maschinen mit Sensoren nachgerüstet und Prozesse durch Roboter automatisiert, um den virtuellen Zwilling zu integrieren. Dieser Ansatz erfordert jedoch, dass eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie existiert und die wichtigsten Attribute digitaler Fabriken wie Vernetzung konsequent angestrebt werden.
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Wo liegen derzeit die größten Hürden an Digitalisierungs-Vorhaben in der Fertigung?
Druglat: Mittlerweile herrscht ein großes Bewusstsein für die Notwendigkeit der digitalen Transformation. Digitalisierungsvorhaben werden daher meist in der Umsetzung ausgebremst. Gründe sind unter anderem eine zurückhaltende Investitionsbereitschaft aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Lage, fehlende ganzheitliche Digitalisierungsstrategien oder mangelnde Expertise im Unternehmen. Die Erfahrung zeigt, dass vor allem diejenigen Unternehmen erfolgreich sind, in denen nicht nur das Management vollends hinter dem Transformationsvorhaben steht, sondern es auch spezielle, mit der Digitalisierung betraute Fachkräfte gibt.
Zudem ist es erforderlich, das Bewusstsein dahingehend zu schärfen, dass Transformation auch die Anpassung von Geschäftsprozessen bedeutet. Viele Projekte starten als digitale Transformationsprojekte und verlaufen sich in einzelnen Digitalisierungsprojekten. Dies kann durch gezielte Beratung von Experten wie Dassault Systèmes vermieden werden, um die übergeordnete Vision einer ganzheitlichen digitalen Transformation zu bewahren und sicherzustellen, dass alle Maßnahmen strategisch aufeinander abgestimmt sind.
Können die aktuellen Herausforderungen für den Maschinen- und Anlagenbau und verwandte Industrien wie etwa Fachkräftemangel und Energiekosten mit digitalen Fabriken (besser) gestemmt werden?
Druglat: Digitale Fabriken sind kein Allheilmittel, aber ein wichtiger Hebel, um die aktuellen Herausforderungen besser zu bewältigen. Durch Automatisierung werden manuelle Tätigkeiten vereinfacht oder reduziert. Das verändert nicht nur das Berufsbild des Fabrikmitarbeitenden, sondern senkt auch den Bedarf an Fachkräften. Zudem kann in digitalen Fabriken der Energieverbrauch durch Optimierungsverfahren, intelligente Steuerung von Maschinen und vorausschauende Einsatzplanung gesenkt werden. Smarte Energiemanagementsysteme helfen, Lastspitzen zu vermeiden. So können Energiekosten letztlich gesenkt werden.
(Bild: mi-connect)
Kommen Sie zum Maschinenbau-Gipfel!
Lernen Sie von den Besten der Branche, wie Geschäftsmodelle an neue Rahmenbedingungen angepasst werden können. Seien Sie dabei, wenn die führenden Köpfe des europäischen Maschinenbaus Projekte und Best Practices für den Maschinenbau diskutieren!
Wie wichtig ist der Mensch (noch) in der digitalen Fabrik?
Druglat: Der Mensch wird auch in einer digitalen Fabrik essentiell sein. Virtuelle Zwillinge, KI, Cobots, und Cloud sind Tools und Werkzeuge, um Prozesse zu optimieren. Das Berufsbild wird sich ändern, die Entscheidungen werden aber auch in Zukunft Menschen treffen.
Wie sieht die Zukunft aus? Wie werden in 50 Jahren Produkte entwickelt und produziert werden?
Druglat: Der Blick in die Glaskugel ist immer schwierig. Wir erwarten aber, dass KI-basierte virtuelle Zwillinge ein enormes Innovationspotenzial haben und Produkte somit besser auf den Endverbraucher hin zugeschnitten sein werden und schneller verfügbar sind. Zudem können Nachhaltigkeitsaspekte viel besser berücksichtig werden, sodass der Schutz der natürlichen Ressourcen mit wirtschaftlicher Stabilität vereint werden kann.