
Etwa zwei Drittel der Maschinenbauer haben bereits digitale Services als Ergänzung ihres Produkts im Angebot. (Bild: S A H I N - stock.adobe.com)
Digitale Geschäftsmodelle sind immer öfter Teil der Unternehmensstrategie. Aus Sicht von Dr. Thomas Heller, Geschäftsführer der Fraunhofer Smart Maintenance Community, muss der Fokus über die reine Monetarisierung hinausgehen. „Unternehmen sollten auch darüber nachdenken, wie Services und Geschäftsmodelle dabei helfen können, Verschwendung zu vermeiden oder zu reduzieren“, so Heller.
„Mit Blick auf die notwendigen Daten und digitalen Fähigkeiten ist Pay-per-Use die höchste Ausbaustufe – in der Praxis jedoch noch wenig verbreitet“, berichtet Jan Rodig, der als Partner das Competence Center Strategy & Digital bei Struktur Management Partner leitet, einem auf Transformation und Turnaround im Mittelstand spezialisierten Beratungshaus.
Aus seiner Sicht sind heute in der Praxis am häufigsten ergänzende digitale Services rund um das Kernprodukt Maschine oder Anlage zu sehen. Etwa zwei Drittel der Maschinenbauer haben bereits digitale Services als Ergänzung ihres Produkts im Angebot, schätzt Rodig. Dazu gehören etwa OEE-Benchmarking und -Optimierung, Online-Zustandsüberwachung und Energiemanagement.
Predictive und Prescriptive Maintenance
Das wohl bekannteste Modell ist die vorausschauende Wartung. Doch in der Praxis gestaltet sich die Umsetzung je nach Datenlage komplex. Für Thomas Heller ist es wichtig, hier Begriffe klar abzugrenzen, die oft durcheinander gewürfelt würden: Condition Monitoring beschreibt demnach die Überwachung von Anlagen, um Probleme wie eine erhöhte Temperatur oder veränderte Schwingung zu erkennen. Predictive Maintenance ziele darauf ab, die Restlebensdauer von Anlagen und Komponenten zu ermitteln und daraus Schlüsse für Produktionsprogramme und den idealen Zeitpunkt für den Komponentenaustausch ziehen zu können.
Noch ein Schritt weiter beschreibe Prescriptive Maintenance die geeigneten Maßnahmen, durch die der Produktionsbetrieb dann so wenig wie möglich beeinträchtigt wird. Bei diesen Ansätzen geht es darum, dass Kunden – durch geeignete Investitionen in Technologien und neue Abläufe – weniger Störungen in ihrer Produktion erreichen.
Dass Daten der Treibstoff für digitale Geschäftsmodelle und Services sind, ist mittlerweile den meisten Unternehmen klar. Dennoch gibt es in der Praxis aus Sicht von Heller eine sehr große Diskrepanz zwischen den technologischen Möglichkeiten und deren Nutzung.
Oft läge das Problem nicht in der Menge der Daten, sondern in deren Verfügbarkeit: „Die Daten liegen in unterschiedlichen Silos, etwa in ERP- oder MES-Systemen bis hin zu Zetteln, die die Bediener an die Maschine geklebt haben. Die Problematik liegt darin, die Daten so zur Verfügung zu stellen, dass man sie tatsächlich auch verarbeiten kann. Hier liegt ganz klar in der Regel der größte Aufwand für KI und Predictive Maintenance“, so Heller.
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Digitale Zwillinge eröffnen mehr Optimierungs-Möglichkeiten
Für Thomas Heller gehört der Digitale Zwilling zu den spannendsten digitalen Geschäftsmodellen für Anlagenhersteller. „Kunden erhalten mit Services, die auf dem Digital Twin basieren, zum Beispiel die Möglichkeit, im Detail zu sehen, wie diese Anlage funktionieren wird. Sie können idealerweise simulieren, inwiefern neue Maschinen und Komponenten in ihre Brownfield-Gesamtstruktur hineinpassen“, erklärt der Fraunhofer-Experte.
Dieser Trend werde sich mit Sicherheit verstärken. Insbesondere für Predictive Maintenance bietet sich das Datenmodell des Digital Twin an, denn das virtuelle Abbild der Maschine legt das Fundament für Simulation, Planung und Echtzeitüberwachung.
Damit werden Services möglich, die zur schnelleren Inbetriebnahme, Fehlervermeidung und besserer Schulung beitragen. Gerade die zügigere Inbetriebnahme ist zunehmend ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal im Wettbewerb. Viele Angebote rund um Data as a Service, die der Optimierung dienen, lassen sich auf DT-Basis konsequent aufsetzen.
Neue Services: Klassische KI wird um Generative KI ergänzt
Große Datenmodelle (Large Language Models) wie ChatGPT werden durch ihre Fähigkeit, menschliche Sprache zu verarbeiten, viele Prozesse verändern. Aus Sicht von Rodig bieten gerade KI und Generative KI die Möglichkeit, schnelle Mehrwert-Services zu entwickeln, zum Beispiel indem ein Large Language Model auf Nutzerhandbücher und Produktdokumentation angesetzt wird und rasche Antworten liefert. Auch Visual AI in Verbindung mit Industriekameras biete große Potenziale, vor allem für die Automatisierung von Qualitätstests.
Doch bei KI- und Digital-Twin-basierten Services müssen sich auch Verhaltensweisen verändern. „Wir haben oftmals eher ein Kommunikations- als ein Datenproblem: Auch wenn zum Beispiel die prädiktiven Services signalisieren, dass eine Komponente ausgetauscht werden muss, sagt die Produktion nach dem Prinzip Hoffnung im Zweifel: Wir müssen noch weiterfahren und die nächsten Kundenaufträge unbedingt erfüllen“, berichtet Heller aus der Praxis. Wenn es dann doch schief geht, sei es an der Instandhaltung, die Anlage möglichst schnell wieder zum Laufen zu bekommen.

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Remote: Fernwartung hat sich etabliert
Auch die remote Wartung zählt zu meistgenutzten Services in der Praxis. Zu den wichtigsten Vorteilen gehört, dass sich Probleme oft schneller mit weniger Personaleinsatz lösen lassen. „Wichtig ist auch die Möglichkeit, dass sich Anlagenhersteller mit der Produktion der Kunden verbinden und nicht nur Hilfestellung zum Reparieren geben, sondern auch Empfehlungen für optimale Einstellungsparameter im laufenden Betrieb“, rät Heller. Damit lasse sich die Produktion besser optimieren, als es dem Betreiber allein möglich sei. Je weiter das Thema Digital Twin voranschreite, desto besser würden hier die Ergebnisse.
Als „Riesenthema“ für Anlagenbetreiber sieht Thomas Heller das Thema Obsoleszenz. In einer Branche langlebiger Produkte sind die für den Betrieb einer bestehenden Anlage benötigten Teile oft entweder gar nicht mehr oder nicht mehr in der benötigten Konfiguration am Markt verfügbar. Natürlich ist es auch eine Frage der Nachhaltigkeit, dass eigentlich funktionierende Maschinen und Anlagen nicht nur deshalb ausgetauscht werden müssen, weil einzelne Ersatzteile nicht mehr beschafft werden können.
Auch wenn es mittlerweile schon eine Reihe von Unternehmen gebe, die sich auf den Nachbau nicht mehr verfügbarer, insbesondere elektronischer Bauteile konzentrieren, sei man von einer umfassenden Lösung noch weit entfernt, meint der Fraunhofer-Experte: „Das Thema Obsoleszenz wird noch erheblich zunehmen, weil die Produktlebenszyklen immer kürzer geworden sind.
Deshalb steigt der Bedarf an nachgefertigten Teilen, wie es beispielsweise mit dem 3D-Druck möglich ist“. Auch Spare Parts as a Service ist also ein potenzielles Geschäftsmodell. Die Frage lautet deshalb aus Hellers Sicht: „Haben schon alle Anlagenhersteller erkannt, dass dies für ihre Kunden ein großes Thema ist und sie sich einen solchen Ersatzteil-Service wünschen?“
Tiefes Verständnis für die Kundensituation ist wichtig
Schon länger im Gespräch sind sogenannte TCO-Modelle (Total Cost of Ownership) oder Pay-per-Use. Dabei wird nicht die Anlage selbst, sondern etwa die damit hergestellte Stückzahl verkauft. Beispiele dafür gibt es etwa in der Turbinen- und der Kompressoren-Herstellung. Die größte Herausforderung für die Königsdiziplin „Pay-per-Use“ liegt für Unternehmen laut Rodig darin, ein tiefes Verständnis für die Kundensituation zu entwickeln. „Die Entwicklung dieser Modelle ist oft Engineering-getrieben, es wird aus technischer Sicht an der Umsetzung gearbeitet. Es muss aber verstanden werden, was Mehrwert konkret für den Kunden bedeutet. Das erfordert in der Regel einen längeren Prozess mit explorativen Interviews“, sagt der Digitalisierungsberater.
Auch Thomas Heller sieht den Ansatz skeptisch: „Es gibt viele Beispiele, bei denen das Konzept nicht funktioniert hat. Das liegt daran, dass sich bei Anlagenstillständen häufig nur sehr schwer nachvollziehen lässt, wer dafür verantwortlich ist. Hier ist Streit vorprogrammiert: Funktioniert die Anlage nicht wie geplant oder hat die Mannschaft etwas falsch gemacht?“, konstatiert der Fraunhofer-Experte.
In der Regel würden TCO-Modelle durch den Einkauf getrieben, für den es zunächst lukrativ wirkt, die Investitionskosten zu reduzieren. Die Bedürfnisse von Produktion und Instandhaltung würden hingegen oft nicht ausreichend berücksichtigt und oft werde es dann teuer, wenn im laufenden Betrieb nachgebessert werden müsse.
Pay-per-Use: Die Herausforderungen sind hoch
Ganz besonders problematisch sei das Thema Pay-per-Use dort, wo Ausgangsprodukte und Rohmaterialien nicht immer qualitativ identisch sind, wie es zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie der Fall sei. Hier die Schuldfrage zu klären, sei nahezu unmöglich. Aus Sicht von Rodig gehören zu den Herausforderungen auch Value-based Pricing – also das Finden des passenden Preises – ebenso wie das Thema Finanzierung.
Die Maschinen vorzufinanzieren sei insbesondere für Mittelständler oft schwierig. Als Haupthürde sieht Rodig jedoch die notwendige kulturelle Veränderung. „Bei Pay per Use kann nicht mehr nur die Maschine der ganze Stolz sein, ein Kulturwandel ist entscheidend. Dieser Paradigmenwechsel fällt vielen Unternehmen außerordentlich schwer. Dass die Maschine nur ‚Mittel zum Zweck‘ wird, ist eine Hürde, die viele in einer Ingenieurskunst-geprägten Kultur nicht überspringen können“, konstatiert der Berater.
Pay-per-Use-Modelle funktionieren vor allem dort gut, wo die Kunden ein Finanzierungsproblem haben, weiß der Berater.

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Das Thema: "Innovation im Fokus: Virtuelle Zwillinge, Kreislaufwirtschaft und die Rolle der KI"
Das Kernproblem ist die Monetarisierung
Bei der Monetarisierung begehen viele Unternehmen einen großen Fehler, weiß Rodig aus 15 Jahren Erfahrung mit dem Thema. Zwar seien die entsprechenden Software-Margen von 25 oder 30 verlockend – deshalb hätten viele Manager in der Branche gedacht, dass sie damit einen erheblichen Zusatzumsatz generieren könnten. Allerdings hänge der Monetarisierungserfolg stark von der Wettbewerbssituation und der Positionierung des Unternehmens insgesamt ab.
Der gleiche Service könne also bei einem Unternehmen sehr gut monetarisierbar sein, beim anderen aber nicht. „Die Zahlungsbereitschaft für digitale Angebote ist da hoch, wo sie einen hohen Mehrwert generieren: Dort, wo beispielsweise die Maschinen am Anschlag operieren, ist es interessant, wenn Maschinenbetreiber die Daten zusammenziehen und mittels OEE-Optimierung mehr aus dem bestehenden Maschinenbestand herausholen können“, erklärt Jan Rodig.
Die Monetarisierung gelinge meist eher indirekt: Oft seien die digitalen Services eine wichtige Chance, sich im harten Wettbewerb zu differenzieren, sein Kernprodukt aufzuwerten – und damit das eigene Geschäftsmodell zu verteidigen, meint Rodig: „In den meisten Fällen greifen – jenseits von direkter Monetarisierung – zwei Hebel: erstens werden damit mehr Maschinen verkauft, zweitens ist der Preis höher im Vergleich zum Listenpreis“.
Wenn etwa aufgrund des Drucks durch chinesische Wettbewerber nur noch 70 Prozent vom Listenpreis erzielt werden könnten, lasse sich mit einem Package aus Software und Hardware dieses Ergebnis auf um die 95 Prozent erhöhen, nennt der Experte ein Beispiel aus der eigenen Praxis. Durch die damit entstandenen Möglichkeiten für Benchmarking und Energiemanagement sei der Kundenmehrwert deutlich höher. Oft bleibt der Benefit eines digitalen Angebots jedoch nur schwer messbar.