Nachhaltige Produktion ist auf dem diesjährigen Kongress zur Fabrik des Jahres eines der beherrschenden Themen. Dazu zählt unter anderem die Kreislaufwirtschaft, mit der sich auch Prof. Günther Schuh beschäftigt. Aber was steckt eigentlich hinter der industriellen Kreislaufwirtschaft? Hier erfahren Sie es.
Wiederaufbereitung ist nicht neu. Zum Beispiel wird eine hochwertige Uhr von IWC Schaffhausen, GEO-Award Sieger der Fabrik des Jahres 2020, bei Bedarf vom Hersteller immer wieder in den ursprünglichen Neuzustand gebracht. Auch im Maschinenbau ist diese Praxis teilweise üblich: So gibt es beispielsweise viel weniger neue als runderneuerte Flugzeuge. Hier darf jedes einzelne Teil fast unendlich lange ersetzt werden – einschließlich des Teils mit der Fahrgestellnummer – und dennoch gilt es als das ursprüngliche Flugzeug. Schiffsmotoren werden ebenfalls ewig renoviert und upgedatet, weil man sie im Nachhinein nicht mehr ausbauen und deshalb nicht austauschen kann. Wiederaufbereitung ist hier also sinnvoll und nachvollziehbar.
Dass dies für Maschinen oder Autos bislang unvorstellbar ist, hat mehrere Gründe. Einer davon ist typisch menschlich: Der Kunde glaubt am besten bedient zu sein, wenn er eine durch und durch neue Maschine bekommt. Er hält es weder für möglich, noch erachtet er es als sinnvoll, eine gebrauchte Maschine als neue entgegenzunehmen. Er entscheidet sich also bewusst für eine gebrauchte oder eine neue Maschine, weil er es bis dato noch nicht anders erlebt hat. Ein anderer Grund liegt in den Informationsasymmetrien: in vielen Branchen kennt man die mögliche Alternative nicht.
Fabrik des Jahres
Die Fabrik des Jahres zählt zu den renommiertesten Industrie-Wettbewerben in Europa. Auf dem gleichnamigen Kongress werden jedes Jahr die Gewinner geehrt. Der nächste Kongress wird am 18. und 19. März 2025 stattfinden.
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Energie- oder Rohstoffrückgewinnung kein Produktioner-Thema - eigentlich
„Dieser Aspekt der Kreislaufwirtschaft ist in der Industrie völlig neu“, sagt Prof. Dr. Günther Schuh, Inhaber des Lehrstuhls für Produktionssystematik der RWTH Aachen, Mitglied des Direktoriums des WZL der RWTH Aachen und Mitglied des Direktoriums des Fraunhofer IPT.
Er erklärt: „Wenn wir über Kreislaufwirtschaft sprechen, reden wir meist von Energie- oder Rohstoffzurückgewinnung. Das sind Elemente der Kreislaufwirtschaft, die gehen uns Produktioner aber eigentlich nichts an. Natürlich macht man auch mit und ohne Kreislaufwirtschaft einen Energiehaushalt mit Abwärmenutzung und so weiter. Bei Restwärme von einer wirklichen Kreislaufwirtschaft zu sprechen, ist eine schmale Beute. Bei den Rohstoffen reden wir oft vom Kunststoff. Es gelingt jedoch ganz selten, die Kunststoffarten, im wesentlichen Bau- und Verpackungskunststoffe, zu recyceln. Das liegt daran, dass Kunststoff heute ein so edler Stoff in vielen Facetten ist, dass man den Ur-Kunststoff nicht mehr herstellen kann. Deshalb wird er weitestgehend verbrannt und die Energie aus dem Kohlenstoff gezogen. Auch das hat wenig mit Kreislauf zu tun.“
Teure Handarbeit bremst volumenstarke Kreislaufwirtschaft aus
Jetzt kommen die Fabriken ins Spiel: Wie können sie den einmal eingesetzten Rohstoff-, Komponenten- und Energiewert ihrer Produkte noch mehr verwenden? Unter den vormaligen Gewinnern der Fabrik des Jahres gibt es einige, die das bereits routinemäßig umsetzen, wie zum Beispiel Mercedes-AMG. Gerade bei schwereren Motoren ist eine Rundumerneuerung bis heute durchaus für einen kleinen Anteil üblich. So werden unter anderem Zylinderköpfe überarbeitet, nachgefräst oder durch Auftragsschweißen Materialabrieb ausgeglichen.
Für Schuh hat aber auch das noch nichts mit industrieller Kreislaufwirtschaft zu tun, sondern überwiegend mit gut organisierter Werkstattproduktion. Warum? „Weil man vorher nicht weiß, in welchem Zustand der Motor wirklich ist, und man viel Aufwand in die Diagnose stecken muss. So gut wir Handwerk auch können – es wird damit immer so teuer, dass sich etwas ganz schnell nicht mehr lohnt. Und dadurch kommt keine volumenstarke Kreislaufwirtschaft in Gang.“
Und so ist für ihn klar, dass in der digitalen Fabrik der Zukunft eine gute Produktakte existieren muss, die alle Erlebnisse der Komponenten und des Fahrzeugs dahingehend protokolliert, dass diese industriell überarbeitet werden könnten. „Wie in der Serien-Neumontage hätte man einen Takt und nach einem Plan die Komponenten disponiert, die an den verschiedenen Montagestellen vorliegen müssen. In drei Stunden hätte man das Auto zu einem Fast-Neuwagen gemacht, während das in der Werkstatt 60 Stunden dauern würde“, beschreibt Schuh das moderne Re-Assembly, das heute noch keiner auf diese Art und Weise macht.
Podcast: Prof. Günther Schuh über Kreislaufwirtschaft und wie man die beste Fabrik wird
Die Revolution landet auf dem Schrottplatz
Re-Assembly sei nur ein Teil der industriellen Kreislaufwirtschaft. Es gehe auch darum, den technologischen Generationswechsel auszunutzen, der uns mit dem Elektromotor quasi auf dem Silbertablett serviert wurde. Im Vergleich zu einem Verbrenner, der Schmierung braucht und in seiner mechanischen Lebensdauer begrenzt ist, habe ein gut gebauter Elektromotor mit Permanentmagnet keinerlei Verschleißteile. Theoretisch könnte man ihn 100 Jahre nutzen.
In der Praxis jedoch beträgt die Lebensdauer eines Autos in Deutschland nur 11,3 Jahre, obwohl heute schon mehr als die Hälfte der darin verbauten Komponenten 40 oder 50 Jahre leben könnten. „Wir passen die Karosserie an die Kernkomponente, den Verbrennungsmotor, an und bauen sie so, dass sie zwar nicht rostet, aber weich wird und irgendwann nicht mehr hält. Dann werfen wir das Auto mitsamt den Komponenten weg“, kritisiert Schuh das Vorgehen, bei dem sich das Engineering an der Hauptverschleißkomponente orientiert.
Die Kreislaufwirtschaft in der Automobilindustrie bekommt neben der Schlüsselkomponente Elektromotor noch einen zweiten Trigger: „Die Batterien könnten zwar nicht ewig, aber locker 25 Jahre leben, wenn sie nicht die ganze Zeit in dem schüttelnden und thermisch anspruchsvollen mobilen Einsatz wären, sondern nur am Anfang ihre Lebens. Nach etwa fünf Jahren könnte man sie noch 20 Jahre stationär verwenden“, nennt Schuh ein erstes Beispiel für ein Second Life einer Komponente, das man von vorne herein planen kann.
Eine niederwertige Zweit- und Drittverwendung zu schaffen, statt zu verbrennen oder wegzuwerfen, ist ein wichtiger Teil der Kreislaufwirtschaft. „Sicherlich ist es nicht für alle Komponenten sinnvoll, sie so teuer und anspruchsvoll zu gestalten, dass sie auch 40 bis 50 Jahre leben. Aber wenn man diese auf fünf oder zehn Jahre auslegt und immer wieder austauscht, dann ist man schon im System der Kreislaufwirtschaft“, sagt Schuh.
Re-Assembly macht Maschinen billiger
Damit kommt für ihn zusammen, wovon wir bisher nur geträumt haben: Ökonomie und Ökologie zielen genau in die selbe Richtung. Er rechnet vor: „Dadurch, dass ich nur einen kleinen Teil wegwerfe oder ersetzen muss, der größte Teil aber bestehen bleibt, braucht man auch viel weniger abwerten und abschreiben. Deswegen ist pro Zeiteinheit oder Betriebsstunde der Maschine der Wertverfall viel geringer. Es ist nicht nur viel billiger, eine Maschine oder ein Auto so zu nutzen, es steigert auch gleichzeitig den ökologischen Footprint. Um zum Beispiel ein 40 bis 50 jähriges Leben zu ermöglichen, tauscht man im Prinzip immer nur 5 oder 10 Prozent der Komponenten aus. Der Rest ist in der Ökobilanzhülle also gar nicht mit CO2 belastet.“
Würde dies nun industriell umgesetzt werden, ginge für Schuh, der jedes Jahr den Kongress zum Wettbewerb moderiert, ein Traum für die Fabrik des Jahres in Erfüllung: In einigen Jahren eben nicht nur Neuprodukt-Fabriken zu prämieren, sondern auch Re-Assembly-Fabriken, sagte er auf dem letztjährigen Kongress.
Miet-Modell schafft Anreiz für Nachhaltigkeit
Allerdings müsse man zugeben: je geringwertiger das Wirtschaftsgut, desto schwieriger die Kreislaufwirtschaft. Finanzielle Aufwände für Logistik oder Diagnose lassen sich beispielsweise bei einem 20-Euro-Föhn nur schwer kompensieren. „Eigentlich ist Kreislaufwirtschaft erst bei Produkten ab einem Wert um die 1.000 Euro sinnvoll. Bei Wasch- oder Spülmaschinen gäbe es aber einen anderen Anreiz für Hersteller, auf Re-Assembly zu setzen“, weiß Schuh. In dem Moment, in dem Produkte nicht verkauft, sondern vermietet werden, ist nicht nur der Impuls für die Kreislaufwirtschaft gegeben und die Verantwortung für mehr Nachhaltigkeit dahin verschoben, wo die Möglichkeit sitzt.
Subskription, Abonnement oder Mieten wären auch ein Hauptwendepunkt im Verbraucherverhalten. „Unsere Wegwerfgesellschaft ist durch den Push im Markt und der industriellen Produktion darauf getrimmt, dass das nächste Produkt immer so günstig ist, dass wir es uns leisten können. Auch die Umweltbelastung müssen wir immer noch nicht adäquat bezahlen“, kritisiert Schuh den aktuellen Zustand.
Wäre nun die Waschmaschine mit einer Miete versehen, wäre es Aufgabe des Herstellers festzustellen, wann der richtige Zeitpunkt für eine Überarbeitung ist. Mit dem digitalen Schatten übrigens relativ leicht zu ermitteln. Die Maschine wird abgeholt und der Kunde erhält ein neues Gerät, von dem er allerdings nur glaubt, dass es neu ist. Die Logistik dafür ist viel günstiger als im Reparaturfall einen Kundendienst zu schicken – abhängig von der Diagnose kommt der nämlich mitunter mehrmals.
Fabrik des Jahres 2022: Das sind die Gewinner
Die Gewinner aller Kategorien der "Fabrik des Jahres" 2022 im Überblick:
- Fabrik des Jahres 2022: Rational AG, Werk 1-3 Landsberg am Lech
- GEO Award: Rolls Royce Power Systems, Werk 1 und 2 Friedrichshafen
- Hervorragende Transformation (Standort): BSH Hausgeräte GmbH, Werk Bad Neustadt
- Hervorragende Transformation (Digitalisierung): Wilo SE, Standort Dortmund
- Hervorragende Serienfertigung: Egeplast international GmbH
- Exzellenz in Nachhaltigkeit: Voith Group, Werk Garching bei München
- Exzellenz in Supply Chain Resilienz: Siemens Schweiz AG, Werk Zug
Ungewohntes Prinzip
Dieses Prinzip ließe sich bei vielen höherwertigen Produkten anwenden. Dabei wäre das ökologisch sinnvolle Verhalten für den Hersteller auch ökonomisch vorteilhaft. Im Vergleich zur Herstellung einer neuen Maschine, für die er Komponenten zukaufen muss, ginge beim Re-Assembly der größte Teil der Wertschöpfung über ihn.
„Return on Sales und Return on Invest wären wesentlich besser. Das ist für die Firmen zunächst einmal ungewohnt und sie denken zuerst, dass sie bei einer Neuproduktion mehr verdienen. Dabei ist unlängst bekannt, dass das Wartungs-, Instandhaltungs- und Ersatzteilgeschäft viel profitabler ist als das Neumaschinen-Geschäft“, nennt Schuh das Argument für einen Ausbau des Re-Assembly-Geschäfts.
Was ist Re-Assembly?
In Verbindung mit der Kreislaufwirtschaft bezieht sich Re-Assembly darauf, Produkte oder Materialien am Ende ihrer Nutzungsdauer zu demontieren und die verschiedenen Komponenten und Materialien zurückzugewinnen, um sie in neuen Produkten wiederzuverwenden. Es geht darum, die Ressourcen so lange wie möglich im Wirtschaftskreislauf zu halten, anstatt sie nach einmaliger Nutzung zu entsorgen.
Re-Assembly in der Kreislaufwirtschaft kann durch verschiedene Methoden erreicht werden, wie beispielsweise das Recycling von Materialien oder das Upcycling von Produkten, um ihnen eine neue Funktion oder einen höheren Wert zu verleihen. Es kann auch bedeuten, dass Produkte so konzipiert werden, dass sie leichter zu demontieren und ihre Komponenten wiederzuverwenden sind, wenn sie am Ende ihrer Lebensdauer angekommen sind. Durch Re-Assembly kann die Kreislaufwirtschaft dazu beitragen, die Abfallmenge zu reduzieren und die Nutzung begrenzter Ressourcen zu maximieren.
Zukunftsmusik: 75 Prozent des Maschinenbauer-Umsatzes durch Re-Assembly
Ginge es nach Schuh, würde ein Maschinenbauer in der Fabrik des Jahres von morgen im Prinzip 25 Prozent seines Umsatzes mit wirklichen Neumaschinen der nächsten Generation erzielen. Die restlichen 75 Prozent erwirtschaftet er mit Re-Assembly und Service. „Diesen so zu gestalten, wie er zum Werterhalt am besten passt, ist nur möglich, wenn wir digital ganz genau wissen, was mit dem Produkt geschehen ist“, so seine Forderung nach der digitalen Produktakte. „Wir machen nichts um der Digitalisierung Willen. Wir machen es, weil es dadurch besser wird und sich gesamtwirtschaftlicher darstellt.
Diese Wirtschaftlichkeit kann mittlerweile auch auf die Nachhaltigkeitsbedeutung hin in Werten ausgedrückt werden, wie zum Beispiel der finanzielle Gewinn durch die Einsparung von CO2. Auf einmal hat man eine zusätzliche Beute, die man ergattern kann, wenn man einen digitalen Schatten hat“, sagt Schuh über den Benefit. Und somit werden unser ganzes Industrie-4.0-Wissen und all die gesammelten Daten auf einmal doppelt und dreifach sinnvoll, wenn man über Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Produktion nachdenkt.