Firmenchef im Anzug gibt Interview. Zwei Journalisten halten ihm Mikros hin.

Vor allem in den USA äußern sich CEOs immer wieder zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen. (Bild: AntonioDiaz - stock.adobe.com)

„Impfen for a better tomorrow“, „besser.schnell.impfen” oder auch „Smarter: Impfung“. Vor einigen Wochen haben hunderte Unternehmen ihre Slogans geändert und so zu einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus aufgefordert. Immer öfter lässt sich eine Politisierung der Wirtschaft beobachten. Für Dr. Katja Nagel, Geschäftsführerin der Unternehmensberatung Cetacea, gehört die Impfkampagne #ZusammenGegenCorona genau zu dieser zunehmenden Politisierung. „Ich begrüße es, dass sich Unternehmen in gesellschaftliche und politische Belange einbringen“, sagt sie im Gespräch mit PRODUKTION. Denn: „Unternehmen sind Teil der Gesellschaft und sollten deshalb Verantwortung übernehmen.“

Vor allem in den USA äußern sich CEOs des Öfteren zum politischen Geschehen. Zum Beispiel vor einem Jahr nach der Stürmung des Kapitols. Die Reaktionen hatten wir in diesem Artikel für Sie zusammengefasst: „Angriff auf US-Kapitol: So reagiert die Industrie“

Und vor den letzten US-Wahlen sprachen sich über 100 Chefs gegen Wahlrechtsbeschränkungen aus. Und das, obwohl republikanische Politiker mit direkten politischen Konsequenzen gedroht hatten.

In Deutschland äußert sich zum Beispiel Ex-Siemens Chef Joe Kaeser, der inzwischen Aufsichtsratschef von Siemens Energy ist, zu politischen und gesellschaftlichen Themen.

Politisierung von Unternehmen: Das sind die Vor- und Nachteile

Für Nagel geht es aber vor allem um folgendes: „Unternehmen stehen in der Verantwortung, ihr Wissen zu teilen.“ Als Beispiel nennt sie den Wissensvorsprung, den zum Beispiel Expertinnen und Experten aus der Autoindustrie zum Thema Mobilität haben. Denn schließlich hätten die Autobauer große Forschungseinheiten, in denen viel Wissen generiert wird. „Ich erwarte, dass die Unternehmen Mut haben und zwar auch nach außen und Position beziehen“, sagt sie.

Was sind aber die Vor- und Nachteile, wenn sich Unternehmen dazu entschließen, sich politisch zu äußern? „Für Führungskräfte ist es natürlich erst einmal ein Risiko. Sie machen sich Sorgen, ob das, was sie sagen, auseinandergenommen wird und wie die Beschäftigten darauf reagieren“, sagt Nagel. Außerdem sei es zunächst Arbeit, sich intern abzustimmen. Es müssen zum Beispiel Fragen geklärt werden wie: Agiert man als Sprecher des Unternehmens oder in seiner Einzelposition? Auch die Angst, einen Shitstorm zu bekommen, sei größer geworden.

Ein Vorteil: Viele Nachwuchskräfte verlangen inzwischen eine politische Positionierung. Sich zu äußern kann also auch beim Employer Branding helfen. Das zeigt auch eine Studie der Kommunikationsagentur Weber Shandwick aus dem Jahr 2017. Demnach sagten fast die Hälfte der Millenials, dass die CEOs in der Verantwortung stehen, sich zu Themen zu äußern, die für die Gesellschaft wichtig sind. In der Generation X und der „Boomer“ sind es jeweils nur knapp 30 Prozent.

Andy Polansky, CEO von Weber Shandwick, sagte: „Künftige Generationen werden noch stärker darauf achten, wie Unternehmen ihre Werte kommunizieren, wenn es darum geht, zu entscheiden, wo sie arbeiten oder bei wem sie einkaufen wollen.“

Politische Äußerungen haben bei der jüngeren Generation sogar noch weitere positive Folgen: 44 Prozent der Millennials gaben in der Umfrage an, dass sie ihrem Unternehmen gegenüber loyaler wären, wenn ihr eigener CEO öffentlich Stellung zu aktuellen Themen beziehen würde. Demgegenüber stehen 19 Prozent, die in diesem Fall weniger loyal wären. „Millennials erwarten mehr als andere Generationen, dass CEOs für ihre Werte eintreten“, sagte Micho Spring, Global Corporate Practice Chair von Weber Shandwick.

Viele Jüngere haben sich ein eigens Wertesystem aufgebaut und schauen, welches Unternehmen zu ihnen passt, erklärte auch Nagel. Es gebe zum Beispiel immer mehr Menschen, die nicht für ein Rüstungsunternehmen arbeiten wollen. Auch andere Konzerne haben an Attraktivität verloren. Es sei deshalb wichtig, dass sich Unternehmen positionieren.

Podcast: Airbus-Führungskraft Christina Reuter über Diversity

Tipps: Darauf müssen Unternehmen achten

Dabei ist es nicht nur wichtig, dass sie sich äußern, sondern auch wie. „Wir brauchen eine Rückbesinnung auf die Wissensäußerung und nicht, dass jeder erzählt, welche Partei er wählt“, sagt die Expertin. Es sei also nicht die persönliche Ansicht wichtig, sondern das Expertenwissen. Nagel verbindet ihre Forderung auch mit einem Appell an die Politik: Diese solle den Experten aus den Unternehmen zuhören.

Ebenfalls wichtig: Wo soll man sich als Unternehmen öffentlich äußern? Offizielle Kanäle wie die eigene Webseite besetzen die Unternehmen ja schon. Nagel empfiehlt Podcasts und Interviews. Auch Videos seien möglich. Firmen könnten sich auch branchenübergreifend zusammenschließen und zu einem Thema aus verschiedenen Blickwinkeln sprechen.

Ob sich eine Führungskraft äußert, ist natürlich keine Einzelentscheidung. „Die Kommunikationsabteilung muss einverstanden sein, sofern sich die Führungskraft als Unternehmensmitglied äußert und nicht als Privatperson“, sagt Nagel. Sie rät außerdem, ein Thesenpapier zu schreiben und mit anderen Kollegen darüber zu sprechen.

Hat man sich einmal dazu entschieden, sich öffentlich zu äußern, sei es wichtig, sich auf die eigenen Unternehmenswerte zu besinnen und Zusammenhänge einfach zu erklären, sodass sie auf von Fachfremden verstanden werden, so Nagel. Als Beispiel nennt sie die Videos der Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim. Eines ist für sie aber auch klar: Betriebsgeheimnisse sollen natürlich nicht verraten werden.  

Leitfaden für politische Äußerungen

In ihrer Studie gibt die Kommunikationsagentur Weber Shandwick auch Tipps, die CEOs bei politischen Äußerungen beachten sollen. Dazu gehören:

  1. Chefs sollen den Generationswechsel und die Wünsche der Millenials nicht ignorieren. Denn die Generation stellt in ein paar Jahren die Führungskräfte.
  2. Um sich politisch und gesellschaftlich zu äußern, sollte man auch Zeit und Unternehmensressourcen investieren.
  3. Es muss sichergestellt sein, dass die Äußerungen auch die Werte des Unternehmens widerspiegeln.
  4. Bevor sich Chefs äußern, sollten sie sich überlegen, über welche Kanäle und in welchem Tonfall sie sich äußern sollen. Die Agentur rät: „Stellen Sie sicher, dass die Gründe für die Haltung des CEO klar artikuliert und überprüft werden.“
  5. Unternehmen sollten sich vorher außerdem einen „Krisenvorsorgeplan“ überlegen, falls es zu einem Shitstorm kommen sollte.
  6. Außerdem sollte man sich auf Wiederholungen gefasst machen. Heißt konkret: Menschen, die sich öffentlich äußern, werden auch beim nächsten brisanten Thema nach einer Meinung gefragt werden.

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