Herr Kollmeier, Sie sind bei Benteler der Vice President der Business Unit E-Mobility. Was ist für Sie das Spannende an der Elektromobilität?
Marco Kollmeier: Die E-Mobilität ist die zweite Revolution in der Automobilindustrie: Nach dem Umstieg vom Pferd auf den Verbrennungsmotor folgt jetzt die Wende vom Verbrennungsmotor hin zur Elektromobilität. Das ist ein starker struktureller Umschwung und damit auch eine Herausforderung, die es so in der Industrie nicht jeden Tag gibt. Genau das macht diese Phase so spannend.
Die Technologie bietet zudem völlig neue Potenziale. Zum einen, weil sie deutlich umweltschonender ist, zum anderen eröffnet die Antriebsart technologische Möglichkeiten, die Verbrenner nicht haben.
Welche Herausforderungen gibt es denn noch, damit die Elektromobilität so richtig durchstarten kann? Es gibt ja zum Beispiel öfter Kritik, dass es mehr Ladesäulen geben soll.
Kollmeier: Wir sehen, dass sich die Elektromobilität stärker entwickelt hat und sich auch weiterhin stärker entwickeln wird, als dies vorausgesagt wurde. Manche sprechen sogar von einem Wendepunkt. Ich würde sagen, den haben wir schon erreicht. Denn E-Mobilität hat sich mittlerweile schon stark durchgesetzt. Dennoch reden wir über eine relativ neue Technologie, die entsprechende Herausforderungen mit sich bringt. Dazu gehört unter anderem die Frage, wie der Antrieb optimal in ein Fahrzeug eingebaut wird, ebenso wie die Themen Batterietechnologie und Hochvoltvernetzung.
Und wo steht Benteler bei der Elektromobilität?
Kollmeier: 85 Prozent unseres Portfolios sind technologieoffen und damit unabhängig von der Antriebsart. Dadurch sehen wir die Elektromobilität ganz klar als Chance – und nicht als eine Bedrohung. Für uns ist dies ein interessanter Markt, in dem wir uns mit neuen Produkten und Systemlösungen erfolgreich etablieren.
Entsprechend haben wir vor vier Jahren die Business Unit E-Mobility gestartet und uns damit vor allem beim Thema Plattformtechnologie positioniert. Wir bieten offene, skalierbare Plattformen, die nicht nur für etablierte Zulieferer und deren Kunden interessant sind, sondern auch neuen Marktteilnehmern und Start-ups in der New Mobility Szene den Einstieg ermöglichen.
Unsere Plattformen basieren auf dem gewachsenen Technologiewissen von Benteler, das von Fahrwerks-Technik bis zu Batterietechnologie und -kühlung reicht.
Auch der Zulieferer Webasto ist vor einigen Jahren in die Elektromobilität eingestiegen. Welche Pläne das Unternehmen hat, hat CEO Holger Engelmann im neuen Podcast Industry Insights verraten:
Weitere Informationen zur Podcast-Folge gibt es auch hier.
Viele Zulieferer schulen ihre Mitarbeiter derzeit um, vom Verbrenner hin zu E-Mobilität. Sie haben gerade gesagt, dass der Großteil ihres Portfolios unabhängig von der Antriebsart ist. Müssen Sie dennoch Mitarbeiter umschulen?
Kollmeier: Das Problem haben wir bei Benteler in der Form nicht. Es ist eher so, dass wir bei dem Aufbau der Business Unit gesehen haben, wie viele gute Experten wir an Bord haben – auch im Bereich der Elektrotechnik. Dieses vorhandene Know-how haben wir in der Business Unit sehr gut gebündelt und durch neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ergänzt. Dabei war es kein Problem, Fachkräfte zu finden. Und da wir in großen Teilen technologieunabhängig arbeiten, brauchen wir auch die bisherigen Technologien weiterhin.
Durch die E-Mobilität haben sie jetzt teilweise auch völlig neue Wettbewerber, zum Beispiel asiatische Firmen, die vorher niemand kannte. Für diese Firmen ist die Einstiegshürde in die E-Mobilität viel niedriger, als bei Verbrennungsmotoren. Merken Sie das?
Kollmeier: Neue Technologien bringen natürlich auch neue Wettbewerber auf den Markt. Ich glaube aber nicht, dass der Einstieg unbedingt einfacher ist. Vielmehr ist er anders.
Was für uns in diesem Marktumfeld entscheidend ist, sind neue Partnerschaften. So haben wir zum Beispiel Partnerschaften mit anderen Zulieferern geschlossen, die uns helfen, unsere Systeme umzusetzen. Da kommen sehr interessante Konstellationen zusammen. Das sehen wir zum Beispiel an unserer Partnerschaft mit Bosch, die ein sehr breites elektronisches Portfolio haben. Gemeinsam ergänzen wir uns hervorragend bei der Plattform-Technologie. Das ist somit wieder eine Chance, die sich uns im Bereich Elektromobilität eröffnet.
Stichwort Plattform-Technologie: Was sind die Pläne von Benteler in diesem Bereich?
Kollmeier: Die Plattform-Lösung soll eine kostengünstige Fahrzeug-Entwicklung ermöglichen und die Zeit bis zum Markteintritt verkürzen. Dies wird durch den modularen Aufbau und die Skalierbarkeit erreicht. Das bedeutet, dass nicht jedes Auto vor einem weißen Blatt Papier neu konstruiert werden muss.
Die Plattform-Strategie ist nichts Neues in der Automobilindustrie. Sie wird bei vielen OEMs umgesetzt. Neu ist – und das ermöglicht die Elektromobilität – dass Zulieferer jetzt in der Lage sind, offene Plattformen anzubieten, um den Fahrzeugbau zu ermöglichen. Dies gilt für PKWs ebenso wie für den Bereich der People Mover.
Wo sehen Sie denn in Zukunft den Markt für Elektromobilität?
Kollmeier: Mittlerweile sehen wir ein globales Momentum im Markt. China war sicherlich der Treiber der Elektromobilität und noch vor ein paar Jahren lagen Amerika, Europa und auch andere Länder ein Stück zurück.
Aber ich würde sagen, dass die traditionelle Automobilindustrie stark aufgeholt hat. Sowohl in Europa, als auch in Amerika ist das Thema Elektromobilität inzwischen auf einem Niveau angekommen, das mit China vergleichbar ist. Elektromobilität ist heute ein globales Thema und hat sich weit über China hinaus etabliert.
Neben den batteriegetriebenen Fahrzeugen gibt es momentan ja auch eine hitzige Diskussion über die Brennstoffzelle. Wie ordnen Sie das Thema ein?
Kollmeier: Brennstoffzellen und die Wasserstoff-Technologie sind sehr interessante Ergänzungen zur Elektromobilität. Ein Wasserstoff-Fahrzeug ist ebenfalls ein Elektrofahrzeug – dies wird leider oft vergessen. Die Brennstoffzelle ist eine sehr vorteilhafte Lösung für Anwendungen, die große Reichweiten brauchen – also speziell im Lastwagen- oder Busverkehr.
Für den PKW-Verkehr ist die Elektromobilität noch führend. Die Technologien entwickeln sich allerdings sehr schnell. Daher würde ich nicht pauschal ausschließen, dass sich die Brennstoffzelle noch stärker durchsetzt. Beide Technologien sind wirklich interessant und es lohnt sich, diese weiter zu verfolgen. Am Ende wird sich immer die Technologie durchsetzen, die am wirtschaftlichsten und robustesten ist.
Ein weiteres Thema, das derzeit überall diskutiert wird, sind die Lieferschwierigkeiten einiger Bauteile und Rohstoffe. Ist Benteler denn auch davon betroffen?
Kollmeier: Im Bereich der E-Mobilität haben wir keine Lieferschwierigkeiten.
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(Bild: Wolfilser - stock.adobe.com)
Rechnen Sie denn damit, dass es so bleiben wird oder ändert sich das noch?
Kollmeier: Insbesondere die Lieferschwierigkeiten bei Chips sind aktuell ein Branchenthema. Allerdings gehe ich davon aus, dass sich dies langfristig auflösen wird. Und bis dahin sind wir hoffentlich nicht davon betroffen. Es wird sicherlich kein Dauerproblem sein.
Wie sieht für Sie die Mobilität von morgen aus?
Kollmeier: Bei der neuen Mobilität reden wir nicht mehr nur über Fahrzeuge, sondern vielmehr über die Mobilität an sich. Also die Fragen: Wie kann ich mich fortbewegen? Welche Form der Mobilität möchte ich wofür nutzen? Dabei geht es auch immer weniger darum, selbst ein Fahrzeug zu besitzen.
Dementsprechend werden sich die Fahrzeuge und die Anforderungen an sie verändern. Dieser Trend ist bereits heute erkennbar: Themen wie beispielsweise Internetzugang und Multimedia-Angebote werden immer relevanter und wichtiger für die Fahrzeuginsassen, während die Frage der PS-Stärke in den Hintergrund tritt.
Wenn wir noch einen Schritt weitergehen und an People Mover denken, können wir erkennen, dass sich hier neue Formen der Mobilität entwickeln. Dies zeigen auch die Entwicklungen im Bereich Carsharing – ein Feld, das an Fahrt aufgenommen hat und im urbanen Umfeld bereits weit verbreitet ist. Das heißt: Wir sind gerade in einer strukturellen Trendwende und das ist genau der Punkt, an dem es spannend wird.
Mit unserem Plattform-Konzept setzen wir genau hier an. Wir bieten ein modulares Konzept, um die neue Mobilität zu ermöglichen und den Fortschritt in diesem Bereich zu beschleunigen.
Werden wir dann in Zukunft auch Fahrzeuge mit verschiedenen Antriebsarten auf den Straßen sehen? Also zum Beispiel Hybridautos und E-Autos?
Kollmeier: Ja, wir werden sicherlich auch in Zukunft eine Mischung verschiedener Antriebsmöglichkeiten haben, da auch die Nutzerprofile sehr unterschiedlich sind. Ich glaube nicht, dass es nur noch Elektroautos geben wird. Wir werden auch weiterhin Fahrzeuge mit Verbrennungstechnologien sehen. Es wird hybride Fahrzeuge geben und auch die Brennstoffzelle hat heute schon sehr viele sinnvolle Anwendungen. Daher ist davon auszugehen, dass auch diese Technologie auf der Straße vertreten sein wird.