Grüne Zahnräder und Blätter

Fertigungsprozesse können ihren Teil zu ökologisch verträglicheren Produkten beitragen. PRODUKTION erklärt, wie die Zerspanung nachhaltiger werden kann. - (Bild: Alex - stock.adobe.com)

"Gerade die Werkzeugmaschinenindustrie ist in Sachen Nachhaltigkeit eine wahre Vorzeigebranche. Werkzeugmaschinen deutscher Herkunft gehören zu den nachhaltigsten Produkten, die es derzeit gibt", sagte Dr. Heinz-Jürgen Prokop, Vorsitzender des VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken) auf der Jahrespressekonferenz im Februar.

Ist das wirklich so? Und was tun die Hersteller, um diese Nachhaltigkeit zu erreichen? Dieser Frage ist PRODUKTION nachgegangen. Interessanterweise kam im ersten Experten-Interview zum Thema zunächst eine gegenteilige Aussage, zumindest einen bestimmten Typ Werkzeugmaschinen betreffend: "Grundlegend betrachtet ist Zerspanung per se nicht unmittelbar nachhaltig", so Prof. Dirk Biermann, Leiter des Instituts für Fertigungstechnik an der Technischen Universität Dortmund, "aber aus einem übergeordneten Blickwinkel betrachtet wird die Nachhaltigkeit und auch die Effizienz von Systemen fast immer von Zerspanungs- und Schleifprozessen sehr stark beeinflusst."

So sieht das auch Prokop. Er sagt: "Werkzeugmaschinen stehen ganz am Anfang der Wertschöpfungskette und sind quasi der Schlüsselfaktor für eine nachhaltige und zirkuläre Wirtschaft. Damit können und müssen wir als Branche Produktionsprozesse ökonomisch und ökologisch sinnvoll mitgestalten."

Wie nachhaltig ein Produktionsprozess ist, hängt unter anderem von Fertigungstechnologie ab. Dieser Artikel konzentriert sich auf die Zerspanung und beantwortet die folgenden Fragen:

Wer es eilig hat, kann über die Links direkt zu den jeweiligen Fragen springen. Und wer sich dafür interessiert, was die gesamte Industrie für mehr Nachhaltigkeit tun kann, erfährt das in diesem Artikel:

Welche Möglichkeiten gibt es Nachhaltigkeit in Zerspanungsprozessen umzusetzen?

"Aus meiner Sicht sind Zerspanprozesse elementar wichtig, um wirklich nachhaltige Systeme herzustellen", erläutert Biermann, "und hierzu existiert auch nach wie vor Potenzial, das noch weiter zu verbessern." Aber welche konkreten Möglichkeiten gibt es, um eine nachhaltigere Produktion umzusetzen?

Portrait von Heinz-Jürgen Prokop, Vorsitzender des VDW und Geschäftsführer Werkzeugmaschinen bei Trumpf
Heinz-Jürgen Prokop ist Vorsitzender des VDW und Geschäftsführer Werkzeugmaschinen bei Trumpf. - (Bild: Trumpf)

"Neben der Optimierung von Maschinenkomponenten widmen sich die Hersteller dem Energieeinsatz während der Nutzungsphase", berichtet Prokop. "Das eingesetzte Rohmaterial und die Strom- und Medienverbräuche bestimmen die CO2-Bilanz der Produktion mit." Deshalb arbeiten Hersteller zum Beispiel an Software, mithilfe derer Verschnitt und Abfall weiter reduziert werden können. "In Kombination mit neuer Hardware können darüber hinaus Medienverbräuche bis zu 70 Prozent reduziert werden. Im Bearbeitungsprozess kann schließlich durch Wegfall einzelner Prozessschritte wie der Nachbearbeitung mehr Prozesseffizienz erreicht werden."

Ein effizienter Prozess ist ein nachhaltiger Prozess

Eine höhere Prozesseffizienz sieht Biermann von der TU Dortmund als Instrument für mehr Nachhaltigkeit. Ein wichtiges Werkzeug um diese zu erreichen ist eine durchgängige Prozesssimulation. "Aufgrund der komplexen Interaktion der beteiligten Elemente, wie Maschine, Werkzeug, Werkstück, Vorrichtung und Kühlschmierstoff eines Zerspanprozesses, ist für eine zielführende Weiterentwicklung der Einsatz von Prozesssimulationen zunehmend wichtiger", begründet der Zerspanungs-Experte. "Ebenfalls mit der Simulation verbunden ist, dass man ganz gut durchspielen kann, welche Lösung die günstigste ist, auch von den Energieverbräuchen her."

Portrait von Dirk Biermann, Leiter des Instituts für Fertigungstechnik der TU Dortmund
Dirk Biermann ist Leiter des Instituts für Fertigungstechnik an der TU Dortmund. - (Bild: TU Dortmund)

Dabei gingen diese Simulationen auch in Richtung höchste Produktivität, denn je schneller ein Prozess auf einer Anlage ausgeführt werden könne, umso geringer seien auch die Energieverbräuche. Der Grund: "Das liegt daran, dass ich im Maschinensystem eigentlich immer Energieabnehmer habe, die unabhängig vom Prozess durchlaufen und Energie verbrauchen", erklärt Biermann. Das heißt: je produktiver die Maschinen arbeiten, desto weniger Energie wird für den gesamten Fertigungsprozess verbraucht.

Hohe Produktivität macht nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch nachhaltiger

Auch die Maschinenhersteller sehen die Produktivität als eine wichtige Stellschraube bei der Nachhaltigkeit. "Je produktiver ein Bearbeitungszentrum Bauteile fertigt, desto sparsamer und damit nachhaltiger ist der Ressourceneinsatz an Fläche, Energie und Rohstoffen", erläutert Dr. Claus Eppler, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung bei Chiron. "Ziel all unserer Neuentwicklungen ist ein klares Plus an Produktivität. Der durchschnittliche Taktzeitvorteil der Baureihe 16 im Vergleich zur Vorgängerreihe beträgt rund 20 Prozent. Man braucht weniger Maschinen und entsprechend weniger Peripherieaggregate wie Kühlmittel."

Doch nicht nur an der Produktivität kann geschraubt werden, es kann außerdem entscheidend sein, auf welcher Maschine Bauteile bearbeitet werden. "Die Arbeitsplanung muss entscheiden, wie neue Werkstücke auf die Maschinen verteilt werden", erläutert Biermann. "Klar gibt es da profane Dinge wie die Abmessungen, aber bei Teilen, die auf unterschiedlichen Maschinen vorstellbar wären, sollte durchgespielt werden, auf welcher Maschine ein bestimmtes Werkstück mit den geringsten Energieaufwänden und damit am nachhaltigsten bearbeitet werden kann. Ich vermute, das passiert bisher nur in seltenen Fällen."

Welche Rolle spielen die Maschinen und Werkzeuge?

Was dahingegen schon häufig passiert, ist die Optimierung von Werkzeugmaschinen und Werkzeugen hinsichtlich der Nachhaltigkeit. "Nachhaltigkeit ist auch essenzieller Teil unseres Leitbilds", erklärt Eppler von Chiron. "Unsere Maschinen und wir selbst schonen Ressourcen und vermeiden Verschwendung. Umweltbewusstes Handeln fordern wir dabei nicht nur am Stammsitz in Tuttlingen ein, sondern an allen Standorten weltweit."

Dabei hat Chiron nicht nur das eigene nachhaltige Wirtschaften im Blick, sondern auch das der Anwender. Eppler: "Wir beziehen Nachhaltigkeitsaspekte in unsere Produktentwicklung ein – unsere Bearbeitungszentren arbeiten immer effizienter, mit höherer Produktivität und geringerem Ressourceneinsatz. Damit leisten wir unseren Beitrag, dass unsere Kunden ihre Nachhaltigkeitsziele erfüllen können."

Portrait von Claus Eppler, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung bei Chiron
Claus Eppler ist Geschäftsführer Forschung und Entwicklung bei Chiron. - (Bild: Chiron)

Mehrspindler arbeiten nachhaltiger

Das Ziel sei es, systematisch schonender mit den begrenzten Ressourcen umzugehen und Umwelt-Schäden gar nicht erst entstehen zu lassen. Daraus entstanden sind eine Vielzahl technischer Lösungen, die sich in der Summe zu mehr Energieeffizienz in der spanenden Fertigung addieren. Dazu gehören beispielsweise Frässpindeln mit energieeffizienten Synchron-  und Asynchronmotoren, um den Magnetfluss im Teillastbetrieb zu reduzieren, eine konsequente Massenoptimierung aller bewegter Bauteile in der Werkzeugmaschine sowie die mehrspindlige Bearbeitung. 

Dass Mehrspindler nachhaltiger sind als Systeme mit einer Spindel ist der bereits erwähnten höheren Produktivität zu verdanken, was ein Beispiel von Chiron zeigt: So liegt der Energieverbrauch für die Herstellung eines Verdichterrads auf einer einspindligen FZ 08 S Five Axis bei 100 Wh pro Bauteil, die doppelspindlige DZ 08 benötigt für zwei Bauteile nur 120 Wh. "Das zeigt das enorme Potenzial für deutlich mehr Nachhaltigkeit bei mehrspindligen Fertigungskonzepten", so Eppler. Außerdem sei auch der reduzierte Bedarf an Fläche, Energie und Investitionskosten im Vergleich zu zwei einspindligen Maschinen für die Anwender attraktiv.

Geballter Input zum Thema Werkzeugmaschinen

Mehrere Maschinenleben erhöhen Nachhaltigkeit

Es sollten aber nicht nur nachhaltige Lösungen für neue Maschinen geschaffen werden, an die Beständigkeit sollte ebenfalls gedacht werden. "Wichtig ist es auch, die Maschinen vor dem Hintergrund der Bedeutung der Nachhaltigkeit bezüglich der besonders beanspruchten Komponenten weiterzuentwickeln", betont Biermann. "Dabei sollte die Verschleißbeständigkeit weiter gesteigert werden, das hilft dann auch die Verfügbarkeit sicher einschätzen zu können und die vorausschauende Wartung weiter etablieren zu können."

Auch Prokop, sieht die lange Nutzungsdauer der Maschinen als wichtigen Aspekt einer nachhaltigen Produktion. "Für alle Komponenten der Maschinen gibt es über lange Zeit hinweg Ersatzteile", sagt Prokop. "Für die Steuerungskomponenten garantieren die Lieferanten Software-Updates für mehrere Generationen." Zudem würden Werkzeugmaschinen eher generalüberholt und als Gebrauchtmaschinen weiterverkauft, als dass sie ausrangiert würden. "Das führt zu einem zweiten und teilweise dritten Maschinenleben. Werden sie am Lebensende verschrottet, lassen sich fast alle Materialien recyceln oder upcyceln, denn es werden vor allem hochwertige Stoffe verbaut, die wiederverwendet werden können."

Retrofit ist wichtiges Nachhaltigkeitsinstrument

Das Generalüberholen - das sogenannte Retrofitting - ist auch bei Chiron ein wichtiges Instrument, denn "Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur den sparsamen Umgang mit Rohstoffen und eine höhere Energieeffizienz bei Neuentwicklungen, sondern auch das Bewahren von Werten", führt Eppler aus. "Ein Bearbeitungszentrum, auch wenn es schon viele Jahre in Betrieb ist, stellt einen solchen Wert dar."

Blick in einen Maschineninnenraum vor und nach dem Retrofit
Beim Retrofit wird die Maschine mit neuen Komponenten ausgestattet. - (Bild: Chiron)

Daher hat Chiron sich bereits im Jahr 2000 entschieden die Tochtergesellschaft CMS (Chiron Machine Service) auszugründen, die sich ausschließlich mit Retrofit-Lösungen beschäftigt. Um den Lebenszyklus der Bearbeitungszentren zu verlängern, werden alle maßgeblichen Elemente wie Antriebe, Hauptspindeln und Steuerung erneuert, weshalb die Anlagen - laut CMS - 30 bis 40 Prozent schneller fertigen können als bisher.

Außerdem kann die Wärmeenergie aus den Kühlkreisläufen in den zentralen Wasserkreislauf des Anwenders eingeleitet werden, spezielle Antriebsmotoren speisen erzeugte, aber nicht benötigte Energie ins Stromnetz zurück. "Das größte Einsparpotenzial eines Retrofits im Vergleich zum Neukauf liegt mit 75 Prozent bei den Rohstoffen - mit entsprechend positiver Wirkung auf die Umwelt", resümiert Eppler.

Werkzeuge können Ressourcen-Verschwendung vermeiden

Neben den Maschinen können auch die Zerspanungswerkzeuge für eine nachhaltige Produktion sorgen, wie Steffen Baur von Ceratizit weiß: "Werkzeuge können durch hohe Effektivität, durch die Reduzierung des Hartmetallanteils oder durch den Einsatz von Sekundärwerkstoffen einen wichtigen Beitrag für eine nachhaltige Zerspanung leisten" sagt der Produktmanagement-Leiter.

Redakteurin Julia Dusold mit additiver Greiferlösung
  (Bild: PRODUKTION)

Die Autorin Julia Dusold ist Technik-Redakteurin bei mi connect. Sie beschäftigt sich mit verschiedenen Fertigungstechnologien, zum Beispiel der Zerspanung, der Lasertechnik und dem 3D-Druck. Außerdem in Julias Portfolio: Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz und Quantentechnologie. Gemeinsam mit der Wirtschaftsredakteurin Anja Ringel produziert und moderiert sie den Interview-Podcast Industry Insights.

Vor ihrer Arbeit bei mi connect hat Julia zuerst Physik und dann Wissenskommunikation studiert. In ihrer Freizeit ist sie gerne am, im und auf dem Wasser unterwegs oder reist auf diverse Weisen in fiktive Welten.

Portrait von Steffen Baur, Leiter Produktmanagement Ceratizit
Steffen Baur ist Leiter des Produktmanagements bei Ceratizit. - (Bild: Ceratizit)

Um alle Aspekte zu beleuchten, hat Ceratizit drei Bereiche definiert: Werkzeuglösungen, Werkzeugherstellung und Bearbeitungsstrategien. Für Baur ist der wichtigste Stellhebel für die Nachhaltigkeit von Werkzeugen die Effektivität. "Man steuert den Produktionsprozess so, dass er deutlich effektiver abläuft", so der Präzisionswerkzeug-Experte.

"Ressourcen werden dann deutlich zielgerichteter eingesetzt und wenig stark verschwendet. Wir bei Ceratizit unterstützen unsere Anwender mit innovativen Werkzeuglösungen und Bearbeitungsstrategien, sodass Produktionsprozesse effektiver ablaufen können und somit ressourcenschonender sind."

Digitalisierung kann nachhaltiges Wirtschaften fördern

Zusätzlich hilft die Digitalisierung auf dem Weg zu einer ökologisch verträglichen Zerspanung. Auch im Bereich der Werkzeuge. "Mit unserem Überwachungs- und Regulierungssystem ToolScope haben wir die Weichen für eine digitale und nachhaltige Zukunft in der Zerspanung gestellt", berichtet Baur. Das digitale Überwachungssystem für die Fertigung ermittelt beispielsweise verschlissene Werkzeuge anhand der durchschnittlichen Prozesskraft.

"So kann die Reserve des Werkzeugs voll ausgeschöpft werden und die Werkzeuge sind länger im Einsatz als mit den üblichen Werkzeugwechselsystemen", so der Produktmanager. "Die Folge sind reduzierte Werkzeugkosten durch eine optimierte Werkzeugnutzung, weniger Werkzeugbrüche und eine erhöhte Maschinenverfügbarkeit."

Was bringt nachhaltige Zerspanung den Unternehmen?

Es gibt also zahlreiche Möglichkeiten die Zerspanung nachhaltig zu machen, doch was bringt diese Nachhaltigkeit den Unternehmen außer einem netten Marketing-Slogan in Zeiten von Fridays for Future?

Zum einen helfen die Maßnahmen Industrie-Unternehmen dabei, ihre CO2-Emissionen und ihren Energieverbrauch zu reduzieren. So wird es möglich Vorgaben der Politik zu erfüllen, wie sie beispielsweise im EU Green Deal, diversen Klimaverträgen oder in der DIN EN ISO 50001 festgeschrieben sind.

Zum anderen haben die zur Nachhaltigkeit führenden Maßnahmen wie höhere Produktivität oder Ressourcen-Einsparungen aber auch wirtschaftliche Vorteile: Weniger Abfall führt zu geringeren Entsorgungskosten, ein geringerer Energieverbrauch senkt die Stromrechnung und langlebige Maschinen und Werkzeuge reduzieren die Ausgaben für Neuanschaffungen.

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