Rüdiger Tibbe lacht in die Kamera

Rüdiger Tibbe ist einer der international gefragtesten Chief Restructuring Officer. (Bild: Detlef Szillat)

Liebe Leserinnen und Leser meiner Kolumne,

Sie haben mich in diesem Jahr bei PRODUKTION über sieben Kolumnen kennengelernt, in denen ich die unterschiedlichsten Herausforderungen und Probleme von Unternehmen aus dem Blickwinkel meiner langjährigen Erfahrung im Transformation und Turnaround Management beleuchtete. Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihr Interesse und Ihr Feedback. Ganz besonders gefreut hat mich der Wunsch, einmal meine Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen aus den vielen Jahren meiner Tätigkeit weiterzugeben. Das ist eine sehr gute Idee – gerade für das Jahresende, wenn sich viele Entscheider fragen, wie sie mögliche Probleme anpacken sollen, die in nicht allzu ferner Zukunft auftauchen könnten.

Wie haben es denn die anderen gemacht? Was sollte ich vermeiden?

Um zwei der gängigsten Fragen zu beantworten, die an mich herangetragen werden, lassen Sie mich zunächst etwas zu meiner Rolle sagen. Wenn ich als Problemlöser für krisengebeutelte Unternehmen ins Spiel komme - entweder als CRO (Chief Restructuring Officer), CTO (Chief Transformation Officer) im Vorstand oder als ein mit einer Generalvollmacht ausgestatteter Manager - dann liegen die Gründe dafür in der Regel viele Jahre zurück. Sehr selten ist ein einzelner Vorfall die Ursache für eine Krise. Meistens handelt es sich um eine komplexe Verkettung von verschiedenen Umständen.

Das ist unser Kolumnist Rüdiger Tibbe

Rüdiger Tibbe
(Bild: Detlef-Szillat)

Unser Kolumnist Rüdiger Tibbe ist einer der international gefragtesten Chief Restructuring Officer unserer Zeit, der ausschließlich auf der Grundlage persönlicher Empfehlungen aus seinem beruflichen Netzwerk tätig wird. Seine Gedanken zu einem ganzheitlichen und menschenzentrierten Turnaround-Ansatz sollte jeder Manager kennen, der sich in einer verworrenen Zeit intern an einer Debatte über den richtigen Kurs seines Unternehmens beteiligen möchte.

 

Er kommt aus einem Familienunternehmen in der Automobilindustrie und bringt darüber hinaus seine große Erfahrung auf oberer Führungsebene börsennotierter Großunternehmen ein, insbesondere im produzierenden Gewerbe. Er ist Senior Partner und Managing Director der Excelliance Management Partners GmbH in Grünwald bei München und unterstützt mit seinem Team Unternehmen als Organ in Vorstand/Geschäftsführung oder im Aufsichtsrat/Beirat. Seit 2001 und weit über 150 Projekten hat sich Excelliance als Industry Taskforce über die Jahre in den Bereichen Transformation und Turnaround Management mit ihren hoch spezialisierten, international tätigen Industrie- und Finanzexperten zu einer verlässlichen Größe für mittelständisch geprägte (Familien-) Unternehmen sowie börsennotierte Großkonzerne entwickelt.

Womit wir bei der Fehleranalyse wären. Wie und warum kommt es überhaupt zu einer Krise? Gibt es denn keine Frühwarnsysteme? Hätte das Management nicht schon früher eingreifen können?

Die kurze und knappe Antwort lautet: Ja. Eine Krise kommt nicht über Nacht und verschwindet auch nicht wieder einfach so. Was jahrelang versäumt wurde, kann nicht innerhalb weniger Wochen kuriert werden. Das ist wie ein Tumor, der auch nicht plötzlich da ist. Er entwickelt sich in der Regel ganz langsam, wobei der Körper sich wehrt und Signale sendet. Je früher man zum Arzt geht, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass man den Tumor rechtzeitig entdeckt. Umgekehrt könnte für Personen, welche diese Alarmsignale des Körpers nicht rechtzeitig wahrnehmen, am Ende jede noch so schnell in die Wege geleitete Hilfe zu spät kommen.

Analog ist es im Unternehmen: Natürlich gibt es verschiedene Phasen einer Krise, die in jedem Unternehmen formell oder informell durch ein Risikomanagement auch erkannt werden. Bei größeren Unternehmen sollen ausgeklügelte Controlling- und Reporting-Systeme - meist umgeben von einer Armada an Anwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Unternehmensberatern - das Management unterstützen. Corporate Governance und Compliance leuchten den Verantwortlichen wie der Stern von Bethlehem den rechten Pfad, damit die Entscheidungen entsprechend konform getroffen werden.

Doch dann übernimmt plötzlich die Unternehmenskultur die Kontrolle: Angst vor Gesichtsverlust, Angst um die eigene Existenz, drohender Kontroll- und Machtverlust, Haftungsinanspruchnahme, um nur die wichtigsten psychologischen Fallstricke zu nennen, führen zu Entscheidungsstaus und zu noch mehr Analysen.  

Sehen wir uns die angesprochene Unternehmenskultur etwas genauer an. Wir haben es hier mit einer verordneten Lethargie zu tun und die kommt vielen Managern oft nicht ungelegen. Schließlich können sie damit unangenehme Entscheidungen getrost verzögern und in Ruhe auf den Faktor Zeit hoffen. Das hat in Zeiten kontinuierlichen Wachstums sehr gut funktioniert. Verschlechtert sich das Marktumfeld, ist dieser Zustand im geschwächten Immunsystem eines Unternehmens fatal. Dann bedroht er die Abwehrkräfte und macht schließlich die ganze Firma krank.

Eine typische Krankheit ist eine Unternehmenskultur, die schädliche Machtspielchen fördert oder gar fordert. Das paralysiert die Organisation, verschwendet personelle, finanzielle und zeitliche Ressourcen und geht zu Lasten der Leistungsbereitschaft. Die daraus resultierende Unsicherheit und Frustration bei den Mitarbeitern werden kaschiert und die wahren Gründe für die Krise bleiben unter der Oberfläche.

Die Folgen zeigen sich schnell: Ergebnisse und Margen schmelzen und zugleich wird für jedes Problem ein Projekt eröffnet. Das führt zu komplexeren Strukturen und einer aufgebauschten Organisation. Die Mitarbeiter sind überlastet, die Organisation ist müde, was zu einer fehlenden Veränderungsbereitschaft führt. Der „Not invented here“-Gedanke prägt sich immer stärker aus, Vertrauen und Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern fehlen und da nichts mehr funktioniert betreiben Vorgesetzte Mikromanagement. Analysen nehmen überhand und werden detailliert bis zum x-ten Grad heruntergebrochen. Entscheidungen werden jedoch keine getroffen.

Im Grunde genommen ist es wie bei einem erfolglosen Fußballteam. Alle spielen, laufen viel, sind am Ende total verschwitzt und verlieren am Ende trotzdem, weil die taktische Zuordnung zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen ebenso fehlt wie eine stringente Spielidee, die sich am zur Verfügung stehenden Potenzial der einzelnen Spieler orientiert. Nur ein Strategiewechsel und eine Taktikänderung können hier das Ende der Niederlagenserie einleiten.

Kommen wir jetzt vom "Warum" zum "Wie": „Mit welchen konkreten Maßnahmen lösen wir das Problem?“ vs. „Warum haben wir das Problem?“

In einer Krise klopft die ganze Frustration der Stakeholder an die Tür. Das Management der Emotionen der Stakeholder wird zum alles entscheidenden Erfolgsfaktor. Doch eine Krise kann nur überwunden werden, wenn Transformation- und Turnaround-Management als strategische Funktion integriert werden. Deshalb empfehle ich auch gebetsmühlenartig, einem CRO zwingend unternehmerische Verantwortung in Vorstand oder Geschäftsführung zu übertragen. In meinem Fall bringe ich zusätzlich noch eine handverlesene Industry Taskforce meines Vertrauens mit. Und zwar ganz einfach deshalb, weil eine Person nicht schnell kurieren kann, was sich über Jahre hinweg eingespielt hat. In einer Krise geht es um Zeit und meistens stellt sich dabei die Aufgabe, mehrere Baustellen gleichzeitig schnellstens anzugehen.

In der vorab sehr vage beschriebenen Situation bin ich an den Aufsichtsratsvorsitzenden herangetreten und habe ihm meine Wahrnehmung der Situation geschildert. Natürlich war ihm die Situation bewusst. Unter Verweis auf die Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeiten des Aufsichtsrats gemäß Aktiengesetz (welches im Übrigen auch für mitbestimmte GmbHs Gültigkeit hat) sowie nach Übergabe entsprechender Handlungsempfehlungen hat er eine außerordentliche virtuelle Aufsichtsratssitzung einberufen und entsprechende Maßnahmen zur Entscheidung gestellt. Ein Gamechanger war hier ein Management Assessment, welches die Stärken und Schwächen der Managerin und des Managers identifizierte und diese den richtigen Rollen und Verantwortlichkeiten zuführte.

Womit wir bei einem Schlüsselfaktor wären: Es ist sinnlos, mit Fröschen über die Absenkung des Wasserspiegels in ihrem Teich zu diskutieren.

Warum habe ich mich in diesem besonderen Fall an Vorsitzenden des Aufsichtsrats gewandt und nicht an das Management? Der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft wird laut Aktiengesetz zwar nicht operativ tätig. Allerdings hat er die Pflicht, die Geschäftsführung zu überwachen. Zudem bestellt der Aufsichtsrat Vorstandsmitglieder und beruft sie wieder ab. Alles andere wäre also in einer zeitlich angespannten Situation Zeitverschwendung gewesen, weil das Management die kontinuierlich negative Entwicklung über Jahre zugelassen hat.

Warum hätte es also jetzt handeln sollen? Leider wird diese Art von Problemlösungen aus offensichtlichen Gründen nur sehr selten von innen heraus angestoßen und gelöst. Dazu ist die Hausmacht zu groß und die Angst vor dem Jobverlust lähmt jede Eigeninitiative. Um den Bruch mit der Vergangenheit anzustoßen ist meistens Druck von außen nötig, etwa durch Gesellschafter oder Kapitalgeber.

Was sind meine ersten Schritte als Krisenmanager?

Wenn ich ein Mandat starte, stellen Sie es sich vor am besten vor wie in einer Monsterwelle, in der ich als CRO wie ein Gummiball von den vielen Stakeholdern herumgewirbelt werde. Sie nehmen zwar wahr, dass Sie sich weit unter der Oberfläche befinden, können jedoch nur erahnen, wo oben und unten ist. In der Ruhe liegt die Kraft, sagen wir in Bayern. Denn die einzige Überlebenschance besteht darin, jetzt ruhig und besonnen zu bleiben. Nur so verringern Sie drastisch die eigene Anspannung, vermeiden es unnötig Energie zu verbrauchen und stellen sicher, dass Sie hoch konzentriert bleiben. Denn jetzt kommt es darauf an, in kürzester Zeit einen Gesamtüberblick zu bekommen und durchdacht die richtigen Entscheidungen zu treffen. Entscheide ich mich in dieser Situation für die falsche Richtung, ist das fatal. Zudem muss ich immer noch die Zeit berechnen, die ich noch nach oben benötige.

Bezogen auf die genannten Herausforderungen reagieren die meisten Unternehmen nur reaktiv anstatt strategisch nach einer dauerhaften Lösung zu suchen. Die eingeleiteten Gegensteuerungsmaßnahmen sind selten proaktiv. Das gängige Argumentationsmuster ist, dass die Ursache für diese Probleme nicht bei sich selbst liegt, man alles richtig gemacht hat und trotzdem zu den Leidtragenden zählt.

Hier kommen Vision und Strategie zum Tragen. Wo sehen wir uns in zehn Jahren und wie kommen wir dahin? Auch wenn die Maßnahmen in einer Restrukturierung/Sanierung reaktiv sind und schnell umgesetzt werden müssen, so machen sie doch wohl nur dann Sinn, wenn ein Unternehmen weiß, wo es in Zukunft hin will. Andernfalls drehen wir uns ständig im Kreis und es kommt zu Restrukturierungsschleifen.

Gerade die aktuelle Situation in vielen Unternehmen erfordert schnelles Handeln. Materialverknappung und steigende Preise gefährden das Ergebnis, die Verfügbarkeit von Halbleitern bleibt weiterhin mangelhaft, die Elektrifizierung beschleunigt sich trotzdem weiter. Dazu müssen sich die Lieferketten erst noch als nachhaltig erweisen, während die Verschuldungsgrade ein Allzeithoch erreicht haben. Das alles liest sich wie eine Mammutaufgabe für das Management. Ist es auch! Doch die Unternehmen haben weder die Ressourcen noch das Know-how, um allen Herausforderungen nachhaltig zu begegnen. Es gilt also die Faustregel: Wo es am stärksten brennt, werden die höchsten Prioritäten gesetzt.

Was sind also die Hauptgründe für Krise?

Die Antwort ist aus meiner Sicht klar: 1. Management 2. Management 3. Management. Alle anderen Krisengründe sind lediglich die Konsequenz eines suboptimalen Managements. Denn schließlich ist es der Mensch, der stets im Mittelpunkt steht und die Entscheidungen trifft. Ich bin absolut davon überzeugt, dass transparente Unternehmen weniger Reibungsverluste, eine bessere Unternehmenskultur und mehr Innovation aufweisen - und damit eine Wirkung erzielen, die zu einem höheren Wachstum führt und gleichzeitig die Zufriedenheit von Mitarbeitenden und Kunden erhöht.

Nun darf ich Ihnen und Ihren Familien zum Abschluss von ganzem Herzen ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Start in das neue Jahr wünschen! Bleiben Sie gesund und motiviert in diesen gerade sehr schweren Zeiten!

Ihr Rüdiger Tibbe

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