Es gibt viele Herausforderungen und Handlungsbedarfe auf dem Weg zu einem Wasserstoffsegment in einer klimaneutralen Volkswirtschaft, berichtet Dr. Felix Christian Matthes, der auch Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik am Öko-Institut e.V. ist. Zwar habe es schon mehrere Wasserstoff-Hypes in den letzten Jahrzehnten gegeben. Seit 2018 sei man jetzt sogar schon in der dritten Welle. „Dieses Mal ist es eine andere Welle, ich bin sehr sicher, dass diese nicht ausplätschern wird“, stellt Matthes fest. Der wichtigste Unterschied: Mittlerweile ist man in anderen Teilen der Welt wie Chile oder der Iberischen Halbinsel in der Lage, billigen regenerativen Strom für zwei Cent pro Kilowattstunde zu produzieren.
„Die Infrastrukturentwicklung ist eines der am meisten unterschätzten Herausforderungen. Wenn das Thema Wasserstoff scheitert, dann an der Infrastruktur“, konstatiert Felix Christian Matthes. Denn klimaneutraler Wasserstoff ist nicht nur ein Energieträger oder Rohstoff, sondern er bildet eine Plattform. Mit einer Vielzahl von Herstellungsvarianten ist er auch keine typische Commodity wie Kohle oder Gas. Es gebe zwar viele Synergiepotenziale, aber eben auch viel Raum für Konkurrenz und Verteilungskämpfe: Die Forderung nach einer industriepolitischen Subvention sei deshalb schwierig, sagt der Experte.
Nicht jede Idee kann gefördert werden
Die Brisanz wird gerade für Branchen wie Stahl, Chemie oder Transport dadurch umso höher, da es sich nicht nur um den Ersatz eines Stoffs handelt, sondern immer auch einen damit verbundenen Technologiewechsel – bei der Stahlerzeugung müsse zu jeder Direktverschmelzungsanlage ein neues Elektrostahlwerk gebaut werden. Auch bei LKW ist mit der Brennstoffzelle eine ganz andere Technologie gefordert.
Das Problem heute: Jeder darf Wasserstoff verkaufen oder Derivate erzeugen. „Aber darf jeder die Forderung stellen, dass er Geld aus der Staatskasse dafür kriegt und dass für jede mögliche Anwendung die Infrastruktur ausgerollt wird?“, fragt Matthes. Die Antwort sei ein klares Nein, denn dafür fehlen die Mittel. Aus seiner Sicht braucht es eine Priorisierung für den Sektor der Derivate. „Oberste zeitliche Priorität hat der Wasserstoff-Einsatz in der Industrie. Da sind Rieseninvestitionen zum Beispiel in der Stahlindustrie zu tätigen mit Riesenfolgen“, sagt der Experte. Auch grüne Fernwärme und der Schwerlastverkehr auf der Langstrecke sollten Vorrang haben. Wasserstoff im PKW-Sektor oder in privaten Heizungssystemen sei hingegen kein Thema.
Kritische Kosten für deutsche Industrie
Grüner Wasserstoff ist heute teuer im Vergleich zu fossilem Wasserstoff, und noch teurer im Vergleich zu Erdgaspreisen von 2019. Doch es seien Kostensenkungen möglich, weil wir preiswerteren grünen Strom beschaffen können und die Kosten für die Elektrolyseanlagen runtergehen werden, erklärt Matthes.
Wenn es allerdings stimme, dass die Chinesen Alkalielektroanalyseanlagen bauen könnten zu 350 Euro pro Kilowatt, dann sei das kostentechnisch problematisch für die deutsche Wirtschaft. Hier würden derzeit 700 Euro aufgerufen, in manchen Projekten sogar 1.000 Euro. „Wenn wir am Ende grünen Wasserstoff verfügbar haben wollen, müssen wir die Kosten auf 100 bis 200 Euro als Investitionskosten pro Kilowatt elektrischer Leistung herunterbringen“, so der Experte. Die Frage sei, wer das zuerst anbietet. Langstreckentransporte von Wasserstoffimporten hingegen seien auf absehbare Zeit zu teuer. Ein hoher CO2-Preis und hohe Transfers seien nötig.
Als besonders kontrovers ist das Thema „blauer Wasserstoff“ (der aus der Dampfreduzierung von Erdgas entsteht) zu sehen, das weder Gesellschaft noch Politik oder Wissenschaft wirklich wollen. Doch Matthes ist sicher: Den blauen Wasserstoff werden wir zumindest übergangsweise brauchen, an der gesellschaftlichen Akzeptanz müsse man daher arbeiten.
Politik braucht Projektmanagement beim hochkomplexen Thema
Bei Wasserstoff-Technologie gibt es international einen Wettlauf mit der Zeit. „Es gibt fast keine chinesische Universität, die nicht ein Institut für Klimaneutralität gründet“, so der Experte. Diese Wissensproduktion werde nicht an der Welt vorbeigehen, auch wenn China derzeit weiter Kohlekraftwerke baut. Mittlerweile hätten alle Länder das Thema auf dem Schirm. Dennoch sieht Matthes die deutsche Wasserstoffstrategie als eine der detailliertesten und am weitesten fortgeschrittenen. Man habe bisher sieben plus neun Milliarden eingestellt für Wasserstoff, fein säuberlich zwischen Ministerien und einzelnen Anwendungsgebieten aufgeteilt. Ein großer Teil werde verdunsten, wenn diese Strategie nicht fokussiert wird. Jetzt sei Regulierung und Geld und Infrastruktur nötig.
Von der nächsten Regierung erhofft sich Felix Christian Matthes auch eine andere Herangehensweise, die mehr auf Governance, Projektcharakter und Projektstrukturen setzt, um mit der Komplexität des Themas fertig zu werden. Dass dafür ein Klimaministerium nötig ist, denkt der Experte aber nicht – eine Bündelung schon.
Ein weiteres Problem: Beim Thema Wasserstoff kann sich die Politik nicht einfach auf die Ergebnisse aus der Wissenschaft berufen, dafür gibt es einfach zu viele. Wichtig ist aus seiner Sicht deshalb eine Art Clearingstelle für die Wissenschaft, damit die Thematik für die Politik handhabbar wird. Doch Matthes gibt sich optimistisch:„Wir werden Wasserstoffderivate in Systemen sehen – früher als viele das denken“.
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